Unter dem Motto „Utopie beginnt im Kleinen“ wird am Samstag in Fellbach die Triennale Kleinplastik eröffnet. Aber am nachdrücklichsten sind die Arbeiten geraten, die die Möglichkeit utopischer Inseln bezweifeln.

Fellbach - Gut, dass Barack Obama schon wieder nach Hause geflogen ist. Gar nicht gastfreundlich hätte der US-Präsident wohl das Colaflaschen-Triptychon mit dem dreifachen Schriftzug „Yankees go home!“ bei der Triennale Kleinplastik gefunden. Auf den antiimperialistischen Pullen, die nun unter Glas in Fellbachs Alter Kelter stehen, plädierte der Brasilianer Cildo Meireles schon 1970 für eine Welt ohne Weltmacht. Seither hat die Kunst es ein wenig verlernt, politische Zukunftsträume zu wagen. Spätestens nachdem mit dem Sozialismus eine der umfassendsten Menschheitsutopien an den Klippen der Realität zerschellt war, schien das Utopische unter Generalverdacht zu geraten. Bestenfalls galt es als Luftschlossarchitektur ohne Bodenhaftung, schlimmstenfalls als Rechtfertigungsideologie totalitärer Cliquen.

 

Erst unlängst mehren sich in der Szene wieder die Positionen, die besonders im Möglichkeitsraum der Kunst die Chance sehen, das politisch-ökonomisch Andere aufzuzeigen und das Diktat der Merkel’schen Alternativlosigkeit zu durchbrechen. Zaghaft, vorsichtig und experimentell sind solche Versuche zumeist. Nicht in der Dimension kathedralenhafter Lehrgebäude treten sie auf, sondern im bescheidenen Tischformat des Modells – womit die zwölfte Ausgabe der Triennale Kleinplastik, die am Samstagnachmittag eröffnet wird, ihr Thema gefunden hat. „Utopie beginnt im Kleinen“ betiteln die künstlerischen Leiter Yilmaz Dziewior und Angelika Nollert die diesjährige Sommerschau in der Alten Kelter. Als Chef des Kunsthauses Bregenz beziehungsweise Direktorin des Nürnberger Neuen Museums setzen die beiden die Reihe international profilierter Triennale-Regisseure fort.

Triennale gehört mittlerweile zu den wichtigsten Kunstterminen

Längst ist die Ausstellung den bescheidenen Anfängen der achtziger Jahre entwachsen und zählt heute zu den international wichtigsten Terminen im baden-württembergischen Kunstkalender. Was auch daran liegt, dass zuletzt kaum noch formalästhetische oder stilgeografische Fragen der Miniaturbildhauerei im Fokus der Präsentationen standen, sondern versucht wurde, am Beispiel mehr oder weniger handlicher Werkformate eine aktuelle inhaltliche Leitlinie zu entwickeln.

Eine Ausrichtung, der die erste Doppelspitze in der Triennale-Geschichte die Treue hält: Gerade in den kleinen Maßstäben erblicken Dziewior und Nollert das Potenzial, gesellschaftliche Wunschvorstellungen konjunktivisch zu entwickeln. Nicht von ungefähr stützt sich das Duo dabei auch auf Architektur und Design, jene beiden kreativen Disziplinen, die wesentlich markanter in die soziale Wirklichkeit hineinwirken können als die freien Künste. Ein kleiner Exkurs widmet sich außerdem der Theatergeschichte.

Fellbacher Utopiebegriff bleibt zu gummihaft

Doch leider reicht diese jüngste Kleinskulpturenparade bei allem interdisziplinären Eifer nicht an ihre Vorgänger heran. Das Kuratorenzweigespann verliert sich in den eigenen konzeptuellen Ansprüchen. Kaum ein Werk schafft es, den Betrachter durch sein sinnliches Selbsterklärungspotenzial abzuholen und auf die Reise zu den Ideenparadiesen mitzunehmen. Pascale Marthine Tayous neun Meter hoher Sack aus Plastiktüten hängt zwar unübersehbar im Zentrum aller Besucherblicke, lenkt in seiner zyklopischen Aufgeblähtheit aber immer wieder vom wesentlich intimer proportionierten Rest der Exponate ab.

Hier breitet der Architekturutopist Yona Friedman seine Stadtvisionen aus, dort demonstrieren die verspielten Keramiken des italienischen Kultdesigners Ettore Sottsass, wie die befreite Form Einzug in die Alltagskultur hält. Während Nora Schulz eine kleine Symbolgeschichte der linken Protestkultur schreibt, indem sie die geballte Faust aus einschlägigen Flugblättern und Magazinen ausschnitt und daraus Papierhändchen bastelte, erinnern die konstruktivistischen Knickbleche einer Lygia Clark oder die abstrakten Denkmalentwürfe des Jugoslawen Vojin Bakic an die klassische Moderne als unerledigtes Utopieprojekt. Auch der in Kuba geborene Carlos Garaicoa kommt in den gewagten Geometrien seiner feuerroten Pappmetropolen auf die frühe russische Revolutionsarchitektur zurück. Diese lichtvolle Aufbruchstimmung wollten die Kuratoren offenbar auch mit ihrem offen gestalteten Ausstellungsraum flankieren. Taghell geflutet ist die Alte Kelter: keine Stellwände an den Fenstern, dafür ein Slalomlauf durch Postamentinseln.

Auf einer davon hypnotisieren die fantastisch-filigranen Drahtuniversen des fast neunzigjährigen Günter Haese, deren Bauelemente aussehen, als wären sie aus dem Gerätebauch nostalgischer Analogapparaturen gerissen.

Es gelingt kaum, das Utopische auf die Gegenwart zurückzubiegen

Hätten sie doch mehr Künstler dieses Schlags ausgegraben! Man könnte dann zumindest von einer ungewöhnlichen Wiederentdeckungs-Triennale sprechen, denn eine nicht unerhebliche Anzahl von Teilnehmern gehört einer tief im 20. Jahrhundert verwurzelten Generation an, was auf den Gesamtcharakter jedoch eher negativ abgefärbt hat, da es weder den Älteren noch den Jüngeren überzeugend gelingt, das Utopische auf konkrete Gegenwartsprobleme zurückzubiegen. Obschon sich zwischen Arabischem Frühling, bedingungslosem Grundeinkommen und Netzdemokratie zahlreiche Stichworte aufgedrängt hätten.

Man mag es deuten, wie man will: Die wenigen nachdrücklicheren Arbeiten sind in Fellbach die, deren Prognosen die Möglichkeit utopischer Inseln bezweifeln. Isa Genzkens „Weltempfänger“-Serie etwa – tote Transistorradios aus Sichtbeton – zeichnete bereits im Entstehungsjahr 1987 ein düsteres Bild von der Globalisierung. Vielleicht ist das störungsanfällige Betriebssystem der menschlichen Egopsyche einfach nicht kompatibel mit den idealstaatlichen Programmen, die Platon oder Thomas Morus einst schrieben. Das unterirdische Wühlmauswegenetz, das Rachel Khedoori im Gipsmodell an die Erdoberfläche holt, könnte einen schon fast auf den Gedanken bringen, Kleinnager hätten das besser organisierte Gemeinwesen.

Letztlich bleibt der Fellbacher Utopie-Begriff mit all dem zu gummihaft, um die Beiträge des knapp sechzigköpfigen Triennale-Kaders nachvollziehbar zu ordnen. Von den sozialökologischen Wohnbauprojekten des Architekten Eckhard Schulze-Fielitz über die kolonialkritischen Kunsthaarhauben Meschac Gabas bis zu den Bühnenentwürfen des Theatererneuerers Erwin Piscator diffundiert die Ausgangsfrage in alle Richtungen. Ein wenig vergessen wird dagegen die traurige Krux vieler Utopien: Sie mögen im Kleinen beginnen, aber manchmal enden sie auch dort.

Bis 29. September Untertürkheimer Straße 33, Di bis Fr 14 bis 19, Do bis 21, Sa, So 11 bis 19 Uhr.