Nun ist der Film „The Interview“ im Netz doch zu sehen. Die Filmfirma Sony steht jetzt richtig dumm da – und die Kritik ärgert sich über eine blasse Groteske.

Hollywood/Pjöngjang/Stuttgart - Als „geliebte Führer“ haben sich schon Kim Jong-uns Vater und Großvater zynischerweise titulieren lassen. Zum Personenkult um die nordkoreanische Herrscherdynastie gehört die Fiktion, auch der Großteil der übrigen Welt huldige in Bewunderung dem jeweiligen Diktator in Pjöngjang.

 

Der größte Wert, den man der albernen Komödie „The Interview“, deren Start in den USA mittels Datendiebstahl, Erpressung und am Ende Anschlagsdrohungen gegen Kinos verhindert werden sollte, zuschreiben kann, ist dieser: es besteht die kleine Chance, dass detailliertere Nachrichten über diesen Skandal am Lügenlack der Propaganda kratzen werden, sollten sie nach Nordkorea gelangen.

Seit dem 24. Dezember können Interessierte in den USA und Kanada den zunächst komplett abgesagten Film nun doch auf diversen Bezahlkanälen im Netz wie Youtube Movies und Google Play streamen. Auch rund dreihundert Lichtspielhäuser in den USA bieten den Film an. Er entpuppt sich nun als fokuslose, wenn auch in Einzelszenen manchmal durchaus komische Gagparade, die ohne den Angriff auf die Kunstfreiheit sang- und klanglos im Vergessen versunken wäre.

„The Interview“ versagt als Politsatire

James Franco spielt einen eitlen Talkshow-Gockel, der im lila Anzug Plappergespräche mit Celebrities führt. Wie sagt der Mann? „Die erste Regel des Journalismus: gib den Leuten, was sie wollen!“ Seth Rogen mimt den Produzenten der Sendung, der da zwar widerspricht, sich aber trotzdem einredet, was er und sein Star da treiben, sei noch Journalismus. Ausgerechnet diese beiden bekommen die Chance, Kim zu interviewen: der Tyrann ist Fan der Show.

Die CIA spannt die Fernsehleute prompt ein, um ein Attentat auf Kim Jong-un zu verüben. Das hat allerdings nichts von der Brisanz, die ihm Nordkoreas Reaktion und mancher besorgte Kommentar über Grenzüberschreitungen in Hollywood zuschrieb. In der hysterischen Albernheit des Films ist das schlicht eine von vielen Schrillheiten. „The Interview“ versagt als Medienentlarvung, als Agentenparodie und erst recht als Politsatire.

Der Produzent Evan Goldberg, der wie bei „This is the End“ mit Rogen zusammen auch Regie geführt hat, zeigt überhaupt kein Interesse, jenseits von Einzelgags ein dramaturgisches Ganzes vorzulegen. Die professionelle amerikanische Filmkritik hat daher mehrheitlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen,

Sony hat ein Eigentor geschossen

Im Netz aber feiert nun die Verschwörungstheorie Urständ, Hackerangriff und Terrordrohungen seien nur ein PR-Gag Sonys gewesen, um profitable Aufmerksamkeit auf einen banalen Film zu lenken. So viel verbohrter Konspirationsglaube kann nur erstaunen. Im Zug des Hackerangriffs wurden mehrere andere, noch nicht ausgewertete Filme Sonys ins Netz gestellt, was schwere Umsatzeinbußen bringen dürfte. Hochnotpeinliche Firmeninterna wurden publiziert, Sonys Mitarbeiter klagen wegen mangelnder Datenabsicherung auf Schadenersatz. Sonys Management stand als rückgratlose Krämerbande da, als es den Film zurückzog. Das FBI kam als Ermittlungsbehörde ins Haus. Das Weihnachtsgeschäft aller Kinos dürfte durch die Terrordrohungen beeinträchtigt worden sein. Und nun läuft „The Interview“ in dreihundert Kinos statt in mehr als zweitausend wie bei einem regulären Sony-Start. PR-Kampagnen werden anders kalkuliert.

Überhaupt dürfte im Filmgeschäft nicht jeder glücklich über den Dammbruch sein, dass mit „The Interview“ ein theoretisch massenattraktiver Film zeitgleich ins Kino und auf die Streaming-Plattformen im Netz kam. Das ist jene Art Auswertung, gegen die sich Kinobetreiber bislang stets mit Boykottdrohungen wehrten. Im Moment ist nicht abzusehen, ob „The Interview“ die große Ausnahme bleibt oder eine Zeitenwende bringt.

Das dürfte auch von den Einnahmen im Netz abhängen. Rund sechs Dollar kostet das einmalige Ansehen des Films, rund 15 Dollar der Erwerb einer digitalen Kopie. Doch Zugriff darauf hat nur, hier bleibt Sony ganz dem traditionellen Auswertungsmuster verhaftet, wer sich mit einer IP- und einer Rechnungsadresse aus den USA oder Kanada anmeldet. Gewieftere Internet-Nutzer wissen zwar, wie man solche Hürden umgehen kann. Die momentane Neugier wird aber vermutlich viele Neunutzer den Piraten im Netz zutreiben, die „The Interview“ zwar illegal, aber weltweit in bester Qualität parat halten, für jeden und gratis obendrein. Mit anderen Worten: Sony hat noch ein Eigentor geschossen.