Kanzlerin Angela Merkel will mit Hilfe der türkischen Regierung den Flüchtlingsandrang kontrollieren. Darunter müsse vor allem die kurdische Bevölkerung leiden, rügt der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, nach einem Besuch in Diyarbakir.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Nach dem Bombenattentat in Ankara Mitte voriger Woche, zu dem sich die kurdische Extremistenorganisation TAK bekannt hat, wurde gegen 14 Verdächtige Haftbefehl erlassen. Zudem macht die türkische Regierung nun erst recht Druck auf die nach Autonomie strebende kurdische Bevölkerungsgruppe. Die Türkei benutze den Anschlag gleich wieder für „neue Feldzüge“ gegen die Kurden – da werde auch kein Unterschied mehr zur verbotenen Arbeiterpartei PKK gemacht, rügt der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger.

 

Der Stuttgarter war gerade Gast einer Konferenz mit hochrangigen Vertretern der Kurdenpartei HDP in der südöstlichen Stadt Diyarbakir. „Die Kurden-Frage militärisch zu lösen, hat 30 Jahre nicht funktioniert und wird auch jetzt nicht möglich sein“, sagte Riexinger der StZ. „Es kostet das Land ungeheure Ressourcen und verursacht wahnsinniges Leid.“ Präsident Recep Tayyip Erdogan fürchtet eine zusammenhängende Selbstverwaltungsregion in der Türkei, in Syrien und im Irak – dabei falle er selbst den Amerikanern in den Rücken, die sich mit den Kurden gegen die IS-Milizen verbünden. Die Ziele der HDP – fälschlicherweise oft als politischer Arm der PKK bezeichnet – sind Selbstbestimmungsrechte und föderale Strukturen, der Erhalt der eigenen Sprache und der kulturellen Identität. Das Parteienbündnis HDP sei „absolut verständigungsbereit“, sagt Riexinger. „Bei denen, die ich gesprochen habe, steht der Kurdenstaat aktuell nicht auf der Tagesordnung.“ Angesichts der wachsenden Repression durch Ankara gilt die Hoffnung der HDP nun der EU. „Sie setzt darauf, dass die europäischen Regierungen Druck auf Erdogan machen“.

Dem „türkischen Regime ausgeliefert“

Die Hoffnung dürfte trügen: Kanzlerin Angela Merkel braucht Ankara für einen kontrollierten Flüchtlingszuzug nach Europa. Riexinger hält ihren Türkei-Plan für den „völlig falschen Deal“. Der Tauschhandel, wonach der Westen „bei den Menschenrechtsverletzungen alle Augen zudrückt“, während die Türkei den Europäern „die Flüchtlinge vom Leib halten soll“, sei „keine gute Politik“. „Zur Befriedung der Region trägt das sicher nicht bei.“ Die Bundesregierung müsste vielmehr „darauf pochen“, dass Erdogan demokratische Grundregeln einhält – dies werde der Flüchtlingsfrage untergeordnet. Riexinger: „Erdogan erpresst gerade eher die EU und Kanzlerin Merkel als umgekehrt.“ Es sei „ein großer politischer Fehler, dass man sich so einem Regime ausliefert“.

Erdogan ist mit seiner Syrien-Politik gescheitert

Die Europäer müssten Erdogan auch davon abhalten, in Syrien zu zündeln und Dschihadisten wie die Al-Nusra-Front zu unterstützen. Der Präsident handle „zum Teil irrational und brandgefährlich“. Er sei offenkundig der Ansicht, den reaktionären Islam fördern zu müssen. „Neben allen strategischen Interessen ist er ein Überzeugungstäter.“ Das Scheitern seiner Syrien-Politik mache ihn noch gefährlicher. Die Vorstellung, Assad zu stürzen, sei weiter weg denn je. „Das wird eine krachende Niederlage für Erdogan.“ Sich auf diese Weise als starke Regionalmacht zu etablieren, sei auch kaum noch machbar.

Nach Worten von Außenminister Mevlüt Cavusoglu plant Ankara keinen Einsatz von Bodentruppen in Syrien. „Eine Landoperation ist nicht auf der Agenda“, sagte er am Montag. Derlei Spekulationen seien „Desinformation und Manipulation“. Dennoch warnt Riexinger vor einem solchen Schritt: „Dann laufen wir Gefahr, einen neuen großen Krieg zu bekommen.“ Daraus könnte ein Konflikt mit Russland entstehen. „Die Nato und die EU müssen Erdogan in die Arme fallen.“