Vor der Turn-WM in Montreal spricht Marie-Luise Probst-Hindermann, Meistertrainerin des MTV Stuttgart, über die Entwicklung ihres Sports – und spart nicht mit Kritik am deutschen Ausbildungssystem.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Vom 2. bis 8. Oktober steigt die Turn-Weltmeisterschaft in Montreal – mit reger Stuttgarter Beteiligung. MTV-Trainerin Marie-Luise Probst-Hindermann glaubt an starke Auftritt ihrer Athletinnen.

 
Frau Probst-Hindermann, an diesem Montag beginnt die Turn-WM in Montreal – mit Ihren Schützlingen Tabea Alt, Kim Bui und Elisabeth Seitz vom deutschen Meister MTV Stuttgart. Wie sind die Mädels drauf?
Sie sind gut vorbereitet, es kann losgehen. Es gibt bei dieser WM ja keinen Teamwettbewerb – deshalb hoffe ich, dass es vielleicht zu einigen Finalteilnahmen in den Einzelwettbewerben reicht.
Auf Elisabeth Seitz und die Chemnitzerin Pauline Schäfer war aus deutscher Sicht zuletzt Verlass – Seitz holte holte bei der EM die Bronzemedaille am Stufenbarren, Schäfer WM-Bronze am Schwebebalken. Die 17-jährige Tabea Alt sicherte sich obendrein den Sieg im Gesamtweltcup und legte danach eine längere Wettkampfpause ein. Wie ist Ihre Verfassung?
Die Pause tat Tabea körperlich extrem gut. Wir konnten das Training anders steuern, weil sie keinen Wettkampf geturnt hat in den vergangenen Monaten und unter anderem die deutschen Meisterschaften ausgelassen hat. Tabea hat wie vorher auch rund fünf Stunden täglich trainiert – aber eben nicht auf Wettkämpfe hin. Da lassen sich ganz andere Dinge einstudieren, und ein bisschen mehr Zeit und Muße für die Schule bleibt dann auch übrig. Man darf bei Tabea nie vergessen, dass sie erst 17 Jahre alt ist – und dass man sie nicht verheizen darf.
Eine weitsichtige Planung kann nicht schaden – jetzt steigt die WM in Montreal, in zwei Jahren kommt es dann zum großen Höhepunkt, der Heim-WM in Stuttgart. Was sind Ihre Ziele für die Titelkämpfe vor der Haustür?
Wir haben eine richtig gute Truppe, die Mischung bei den Mädels aus jung und alt stimmt. Ein paar Einzelfinals in Stuttgart für unsere Lokalmatadorinnen wären verdammt cool. Über allem steht aber bei jeder Turnerin die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, für die der Einzug ins WM-Teamfinale nötig ist.
Das will die internationale Konkurrenz auch – wie beurteilen Sie die Entwicklung an der Spitze des Frauenturnens in den vergangenen Jahren?
Es gibt eine größere Breite an der Spitze. Früher gab es gefühlt nur die Russinnen, die Rumäninnen, die US-Amerikanerinnen und die Chinesinnen, dann hörte es irgendwann auf. Das Turnen ist in den vergangenen Jahren globaler geworden, weil immer mehr Fachkräfte und Trainer, zum Beispiel aus Russland, ihr Wissen im Ausland weitergeben. Das Know-how ist mittlerweile fast überall auf der Welt verteilt – mit der Folge, dass es jetzt zum Beispiel gute Turnerinnen aus Kolumbien gibt. Das war in früheren Jahren undenkbar.
Was hat sich zuletzt bei Ihrer Arbeit als Trainerin geändert?
Vom zeitlichen Umfang her trainieren wir mit unseren Athletinnen so viel wie vorher auch – ungefähr 30 Stunden pro Woche. Heute betrachten wir aber alles viel ganzheitlicher. Wir sprechen viel mehr zum Beispiel mit den Physiotherapeuten, der Schule oder dem Olympiastützpunkt. Außerdem arbeiten wir mit immer mehr Spezialisten und immer größeren Datenmengen. Wir nehmen zum Beispiel viel im Training gleich mit dem iPad auf. Das muss alles ausgewertet werden und in die Trainingspläne eingearbeitet werden.