„Inspector Barnaby“ ermittelt angeblich im heutigen England. Aber sein Dienstbezirk erscheint wie ein Museumsdorf: idyllisch, pittoresk, old-fashioned. Genau das lieben die Fans der britischen Krimiserie. Jede Staffel erreicht weltweit ein Millionenpublikum – obwohl am Anfang nur ein einziger Barnaby-Auftritt stehen sollte.

Stuttgart - Sucht man in England die Grafschaft Midsomer aus der Krimiserie „Inspector Barnaby“, passiert das Gleiche, als wollte man in Cornwall das Land der Pilcher-Verfilmungen finden: Man irrt umher, denn es gibt es nicht. Die Produzenten beider Reihen verfahren ähnlich: Sie basteln ein Bilderbuchengland aus unzusammenhängenden Schauplätzen.

 

Midsomer ist eine fiktive Grafschaft mit dem ebenfalls fiktiven Städtchen Causton als Zentrum. Von hier aus startet Detective Chief Inspector John Barnaby (Neil Dudgeon) seine Ermittlungen. Sie führen ihn meist in liebenswerte Örtchen, geprägt von idyllischen Cottages, gepflegten Gärten, gemütlichen Pubs mit Fachwerkfassade. Diese Schauplätze existieren, aber in Wirklichkeit liegen sie kilometerweit verstreut zwischen London, Oxford und Bristol.

Überrascht vom Zuspruch

Den Barnaby-Fans bereitet das Wunschbildengland ein großes Vergnügen, das seit 1997 nicht nachlässt. Dabei war die erste Episode, die Verfilmung eines Romans von Caroline Graham, noch als Einzelstück gedacht. Wegen des enormen Zuspruchs ermittelte Barnaby aber weiter. Noch vier Mal nach Ideen von Graham, danach verselbstständigten sich die Geschichten. Und wurden zum Exporterfolg: Die Serie läuft unter anderem in Australien, Brasilien, Neuseeland, den USA. In Deutschland erzielt sie im ZDF gute Quoten, sogar am späten Sonntagabend, und dass die gerade mal wieder bei ZDF neo wiederholt werden, hat wohl nicht mit Ideenlosigkeit der Programmgestalter, sondern mit realer Nachfrage zu tun.

Die Barnaby-Saga ist ein Wirtschaftsfaktor geworden. Besucher aus aller Welt wollen das mörderische Idyll nicht nur auf dem Bildschirm erleben, Touristikunternehmen greifen das Thema dankbar auf. Man kann ausgewählte Drehorte per Bus, per Rad und sogar per Boot ansteuern. Selbst Grundstücksmakler profitieren von der Serie: Immobilien, die als Drehorte dienten, steigen deutlich im Wert.

Die Treue der Fans hat selbst mehrere Personalwechsel ausgehalten. Ursprünglich verkörperte John Nettles den wackeren Kriminalisten. 2011 gab Nettles die Rolle ab, Neil Dudgeon übernahm. In der Serie ist er Toms jüngerer Cousin John Barnaby, so konnte der Nachname behalten werden.

Zwischen Tradition und Moderne

In jeder Episode wird ein Kriminalfall gelöst und nebenbei die Familiengeschichte der Barnabys fortgeschrieben. In der 17. Staffel etwa wird Barnaby als junger Vater gelegentlich von der Babypflege beansprucht. Die Anmutung der Serie bleibt old-fashioned, aber die Moderne ist auch hier nicht aufzuhalten. Anders als früher werden mittlerweile auch Schauspieler migrantischer Herkunft besetzt.

Der frühere Produzent Brian True-May hatte dies stets abgelehnt; er verstand die Serie als „Bastion des Englischen“. Seine rassistisch anmutenden Äußerungen sorgten für Wirbel und wurden Gegenstand einer internen Untersuchung. True-May behielt zwar nominell seine Funktionsbezeichnung, war aber nicht mehr mit der realen Herstellung der Serie befasst.

Allzu viel Moderne aber vermeiden auch die aktuellen Serienmacher. Wie gehabt kreisen die Folgen um spleenige Eigenarten und britische Traditionen und führen oft in ungewöhnliche Milieus, jene der Winzer, der Illusionisten, oder in die Folk-Musik-Szene. Auch der makabre Charakter der Mordfälle wurde beibehalten. Und wenngleich die Errungenschaften moderner Kriminaltechnik Midsomer bereits erreicht haben, führt allein Barnabys Scharfsinn zur Entlarvung des Täters. Das macht den unscheinbaren Ermittler aus der englischen Provinz zum heimlichen Helden – für Millionen Zuschauer in aller Welt.