Was kann der deutsche Auslandsgeheimdienst? Und vor allem: was darf er? Die sehenswerte SWR-Produktion dringt in die „Schattenwelt BND“ vor, einer Behörde, die seit dem NSA-Skandal tief in der Krise steckt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Schütteres Haar, schlecht sitzende Anzüge – so sieht er aus, der typische deutsche Spion. Allerdings: je höher die Position, umso besser sitzt der Zweiteiler, sagt Stella Schiffczyk. Sie muss es wissen. Die Bloggerin von netzpolitik. org hat beim NSA-Untersuchungsausschuss gezeichnete Porträts von BND-Mitarbeitern angefertigt und in den sozialen Medien veröffentlicht.

 

Das Äußere der grauen Spionage-Mäuse steht in krassem Gegensatz zu der Macht, den Auslandsnachrichtendienst hat, der 2017 seinen Hauptsitz von Pullach in einen monumentalen Neubau in Berlin verlegt. „Das ist eine ganz geheime Schattenwelt, die das tatsächliche politische Geschehen der Welt bestimmt“, bringt es der BND-Experte Erich Schmidt-Eenboom auf den Punkt.

Aus diesem Zitat leiht die Dokumentation „Schattenwelt BND“ von Rainald Becker und Christian H. Schulz ihren Titel. Die Filmemacher haben drei Jahre lang für den neunzigminütigen, vom SWR koproduzierten Film recherchiert, der immerhin das Kunststück fertig bringt, zumindest die äußeren Schichten der Geheimbehörde zu durchleuchten: Wie tickt der BND, was leistet er für die Politik – und was sind die Schattenseiten dieser Schattenwelt?

Wie kommt die Behörde wieder raus aus der Schmuddelecke?

Die Glaubwürdigkeitskrise nach Edward Snowdens NSA-Enthüllungen ist klar der Aufhänger für die sehenswerte Doku, die auch formal überzeugend gemacht ist: Schnelle Schnitte, Bildmontagen und eine pulsierende elektronische Musikkulisse nach Thriller-Machart, ohne dabei reißerisch zu wirken. Durch die präzisen, analytischen Expertenstatements kommt man auch gut über die Passagen mit den geschwärzten Gesichtern und verzerrten Stimmen der befragten BND-Menschen hinweg.

Allerdings lässt sich die Dokumentation doch ein bisschen viel Zeit, bis sie zum Kern vordringt. Zu Beginn führt der Blick hinter die Kulissen erst einmal in den Nordirak, ins kurdische Erbil, wo die Kamera einen BND-Beamten begleitet: „Arbeitsalltag Frontbesuch“. Abgesehen davon, dass der gemütliche bayerische Akzent des Geheimdienstlers einen bizarren Kontrast zu den Bildern von mit schweren Waffen hantierenden Peshmerga-Kämpfern, zerbombten Straßenzügen und Ausschnitten aus IS-Propaganda-Videos darstellt, fragt man sich, warum die Autoren ihre Reportage damit beginnen. Die Antwort kommt, aber vergleichsweise spät: Im Rahmen der sogenannten „force protection“ beschafft der BND Informationen für die Bundeswehr, die seit Herbst 2014 kurdische Einheiten im Nordirak ausbildet.

Wie funktioniert dieses schwer greifbare Gebilde BND, welche Macht hat es, und wie kommt die vom NSA-Abhörskandal erschütterte Behörde aus der Schmuddelecke wieder heraus? Klar, dass sich die Geheimniskrämer vom Dienst nicht wirklich in die Karten schauen lassen, auch wenn der zum Zeitpunkt der Recherche noch seines Amtes waltende BND-Präsident Gerhard Schindler vor der Kamera Transparenz beschwört und seinen Reformansatz erläutert: „operative Fähigkeiten stärken“ und die sogenannte menschliche – im Gegensatz zur technischen - Spionage verbessern. Die Autoren bewältigen dabei auch einigermaßen elegant die Krux, dass Schindler noch während der Recherchen zum Film zum 1. Juli in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde.

Die Beurteilungen des Leistungsvermögens der Auslandsaufklärung geraten höchst unterschiedlich: „Vom Wirken des BND haben wir nichts erlebt“, sagt der „Spiegel“-Kriegsreporter und Syrien-Experte Christoph Reuter; anders hingegen fällt die Bilanz aus, wenn es um Russland und Wladimir Putin geht. Hier habe sich in Folge von BND-Berichten ein Haltungswandel in der deutschen Außenpolitik vollzogen, von einer noch durch Gerhard Schröder beeinflussten russlandfreundlichen Position hin zu der von Angela Merkel praktizierten Distanz.

Den Finger in die Wunde legen die Autoren erst in der zweiten Hälfte, dann, wenn es nicht mehr nur darum geht, was der BND kann und was nicht, sondern die Frage lautet: Was darf er? Und was darf er nicht? Fragen, die Edward Snowdens Enthüllungen 2013 in spektakuläre, die ganze Welt bewegender Weise aufwarfen.

„Kurz vor der organisierten Kriminalität“

Der Grünen-Politiker Christian Ströbele nennt Snowden „einen der wichtigsten und hervorragendsten Aufklärer unserer Zeit“. Die illegale Massenüberwachung, ausgelöst durch 9/11, die Snowden aufdeckte, stürzte den BND wie das Spionagewerbe überhaupt in eine schwere Krise. Constanze Funke von netzpolitik.org stuft dessen Ansehen seither „kurz vor den organisierten Kriminellen“ ein.

Die Doku arbeitet den Abhörskandal auf, ohne sich in Details zu verlieren, und thematisiert dabei dessen gesellschaftliche Dimension: Es geht um nicht weniger als die heikle Balance „zwischen Datenschutz und Grundrechten, zwischen Sicherheit und Freiheit“, die in eine desaströse Schieflage geraten ist.

Doch will man tatsächlich heraus aus der Schmuddelecke, in die man sich durch erwiesene Lügen – „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“ -, und illegale Kooperationen hineinmanövriert hat? Die Aussichten stimmen wenig hoffnungsvoll: Die Experten entlarven, unter anderem am Beispiel von Paris, die elektronische Massenüberwachung zur Verhinderung von Terrorattacken als ineffektiv; der proklamierte Reform- und Transparenzwille scheint mit Schindlers Absetzung indes fragwürdig. Eine Szene mit Konstantin von Notz, dem Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, spricht Bände: Er zeigt Berge von geschwärztem Aktenpapier, die ihm der BND übergeben hat, um Aufklärungsarbeit leisten zu können. Angesichts des ungezügelten Datenhungers und elektronischer Durchleuchtung geben ihm die Autoren das mahnende Schlusswort: „Wenn man da den staatlichen Institutionen keine Grenzen setzt, dann werden wir unsere Freiheit verlieren.“

Sendetermine Arte, 19. Juli, 20.15 Uhr; ARD, 27. Juli, 22.45 Uhr