Fast wie früher: SWR und Arte produzieren gerade die Serie „Zeit der Helden“. Gedreht wird in Echtzeit, unter Livebedingungen. Das hat man in den Fünfzigern, als das Fernsehen das Laufen lernte, auch so gemacht.

Mannheim - Programmliche Schwerpunkte oder gar Themenwochen sind für die ARD und ihre Kulturkanäle nichts Neues. Was jedoch derzeit Zero One im Auftrag von SWR und Arte produziert, ist eine echte Innovation. Die ursprüngliche Idee stammt vom Volker Heise, der mit Zero One auch schon die Aufsehen erregende TV-Dokumentation „24h Berlin – Ein Tag im Leben“ (RBB/Arte, 2009) hergestellt hat. Ausgangspunkt, so erinnert sich Thomas Kufus, „war die Überlegung: Wenn sie uns einen Tag geben, können wir dann auch eine ganze Woche bekommen?“

 

Kufus war maßgeblich an „24h Berlin“ beteiligt und ist auch Produzent von „Zeit der Helden“. Die Serie ist das Kernstück der trimedial veranstalteten Programmwoche „Ich krieg’ die Krise – 5 Tage Midlife und andere Katastrophen“. Ähnlich wie beispielsweise die US-Krimiserie „24“ ist „Zeit der Helden“ Fiction in Echtzeit, aber in zugespitzter Form: Wenn die Zuschauer um 20.15 Uhr einschalten, ist es auch für die Serienfiguren Viertel nach acht am Abend.

Der Regisseur Kai Wessel („Die Flucht“) hat fürs ZDF zwar vor acht Jahren bereits das so genannte Live-Movie „Feuer in der Nacht“ inszeniert und dank „Klemperer“ auch Erfahrung mit Mehrteilern, aber die Arbeit an „Zeit der Helden“ ist vor allem wegen der völlig anderen Erzählweise auch für ihn komplettes Neuland: „Für dokumentarische Fiktion muss eine ganz neue Form gefunden werden. Die Szenen sind viel länger als im üblichen Fernsehfilm. Außerdem stehen uns die klassischen Verdichtungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung, man kann nichts durch den Schnitt verkürzen.“

Die Protagonisten stehen unentwegt vor der Kamera

Die Bedingungen erinnern frappierend an die erste deutsche Fernsehserie überhaupt, „Unsere Nachbarn heute Abend: Familie Schölermann“. Als die 111 Folgen in den fünfziger Jahren gedreht wurden, konnten Fernsehproduktionen noch nicht aufgezeichnet werden. Die Darsteller der Familienserie agierten also live wie im Theater, die Handlung fand zur selben Zeit wie die Ausstrahlung statt; meisten saß die Familie beim Abendessen. Bei „Zeit der Helden“ werden SWR und Arte genauso verfahren: Beide Sender zeigen die neun Folgen nächstes Jahr innerhalb der Karwoche, also setzt auch die TV-Erzählung am Montag vor Ostern ein. Die einzelnen Folgen werden von Montag bis Freitag um 20.15 Uhr (45 Minuten) sowie am späteren Abend (30 Minuten) parallel im SWR Fernsehen und auf Arte ausgestrahlt.

Im Zentrum der in Mannheim gedrehten Serie (Drehbuch: Beate Langmaack und Daniel Nocke) stehen zwei von Oliver Stokowski, Julia Jäger, Inka Friedrich und Thomas Loibl verkörperte Ehepaare Mitte vierzig. Zu Beginn geht das Leben noch seinen gewohnten Gang, doch bis Karfreitag hat das beschauliche Dasein existenzielle Risse bekommen.

Gedreht wird mit zwei Kameras, die Protagonisten sind permanent im Bild, entsprechend hoch sind denn auch die Belastungen für die Hauptdarsteller. Mindestens genauso viel Respekt hat Kai Wessel vor seinem neuen Arbeitsgerät: Erstmals wird eine Produktion mit der neuen C300 von Canon gedreht. Für den Regisseur stellt die Kamera einen Quantensprung dar: „Die Lichtempfindlichkeit ist so extrem, dass wir die Sechzig-Watt-Birnen gegen Fünfzehn-Watt-Birnen austauschten mussten. Es war so dunkel am Set, dass wir Taschenlampen brauchten, um das Drehbuch zu lesen. Trotzdem sind die Bilder brillant.“

Nicht nur wegen des schmalen Budgets, sondern auch aus künstlerischen Erwägungen sei von Anfang an klar gewesen, dass die Serie im Dogma-Look entstehen solle, „aber Dogma bei Nacht hatte bislang den Nachteil, dass die Bilder immer sehr grobkörnig wirken“. Dennoch ist Wessel wichtig, dass die Technik nur Mittel zum Zweck sei: „Die Serie wird nicht über die Bilder funktionieren, sondern über die Menschen, von denen wir erzählen. Dass sich die Machart formalästhetisch von anderen Fernsehfilmen unterscheidet, sollen die Zuschauer eher subkutan wahrnehmen.“ Trotz der äußerst anstrengenden dreimonatigen Drehzeit ist er begeistert von dem Format und daher überzeugt: „Das wird die Grenzen des Fernsehens erweitern!“

Experimente sind zum Ausprobieren da

Für die beteiligten Sender steht vor allem die Trimedialität des Projekts im Vordergrund. Christoph Hauser hat in seiner Zeit als Programmdirektor von Arte den Internetauftritt des Kultursenders enorm ausgebaut. Der thematische Schwerpunkt und die Serie passen daher perfekt in seine Online-Strategie: „Auf dem Weg zu einem Medium, das in Zukunft die Linearität des Fernsehens und die Interaktivität des Internets verbinden wird, ist Arte bestrebt, so oft wie möglich zwischen dem Fernseh- und Webangebot Brücken zu bauen und neue innovative Formate auf den Bildschirm zu bringen.“

Martina Zöllner, die Hauptabteilungsleiterin Kultur des SWR-Fernsehens, hebt nicht zuletzt die „enorme dramaturgische Herausforderung“ für das Autorengespann Beate Langmaack und Daniel Nocke hervor. Sie betrachtet das Projekt als „ungewöhnliche Einladung, am Serienleben der Protagonisten teilzunehmen, als wäre man ‚live‘ dabei, mehrmals am Tag und eine Woche lang.“ Zusätzlich werde die spannende Phase der Lebensmitte „in all ihren Erscheinungsformen sowie in den verschiedensten Fernsehformen durchgespielt“.

Aller Pionierarbeit zum Trotz weist Wessel Vergleiche mit Rainer Werner Fassbinders Maßstäbe setzenden WDR-Serie „Acht Stunden sind kein Tag“ (1972/73) von sich: „Ich bin, ehrlich gesagt, froh, wenn wir erst mal die Dreharbeiten gut zu Ende bringen.“ Alle Beteiligten seien sich allerdings der Tatsache bewusst, dass hier etwas Besonders entstehe: „Daraus schöpfen wir Kraft und Mut.“

Genau darin sieht Produzent Kufus auch eine öffentlich-rechtliche Pflicht: „Mit Projekten wie diesem hat das Fernsehen die Chance, ein Thema zu setzen und vom Begleitmedium wieder zum Leitmedium zu werden.“ Umso wichtiger sei es, mit „Zeit der Helden“ einen Online-Auftritt anzubieten, der „weit über die normale  Programmbegleitung hinausgeht.“ Mit „24h Berlin“ sei es gelungen, Zuschauer anzusprechen, die der RBB sonst nicht erreicht habe: „Das ließ sich in den sozialen Netzwerken gut nachvollziehen.“ Ob das Publikum den revolutionären Charakter des Projekts erkennen und die Pionierarbeit auch angemessen honorieren wird, lässt der Produzent auf sich zukommen: „Experimente sind dafür da, ausprobiert zu werden.“