Abwechslungsreich, spannend und sehr unterhaltsam: Udo Jürgens hat am Freitagabend eine fabelhafte Show in der Schleyerhalle in Stuttgart gezeigt.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Nimmt die Party denn gar kein Ende? Udo Jürgens war aus Anlass seines 80. Geburtstages in den vergangenen Wochen derart präsent in allen Medien, mit Musik, Geschichten, Erinnerungen und Glückwünschen jedweder Art, dass man sich schon fragen konnte, ob es im Publikum genügend Interesse geben würde, ihn nun auch noch im Livekonzert zu erleben. Das Stuttgarter Publikum hat darauf am Freitagabend eine Antwort gegeben: Zum offiziellen Auftakt seiner großen „Mitten im Leben“-Tournee trat der Entertainer auf die Bühne einer rappelvoll besetzten Schleyerhalle – und viele der 10.000 Zuschauer begrüßten den Achtzigjährigen bereits zu Beginn mit Ovationen im Stehen. Udo Jürgens: ein Phänomen. Seine Tournee läuft so gut, dass jetzt schon die Zusatzkonzerte angesetzt werden. (Ach ja, übrigens: Stuttgart bekommt eines am 10. März 2015.)

 

Und was dieser Achtzigjährige dann knapp drei Stunden im großen Arrangement mit der Pepe Lienhard-Big Band seinen Fans bot, das war nun wirklich eine ganz große Show, abwechslungsreich, spannend, in ihrer Qualität mustergültig, vorbildlich – und von Jürgens selbst fabelhaft souverän präsentiert, sympathisch, ebenso elegant wie uneitel. Dabei hätte er ja durchaus Grund zur Eitelkeit: Kein einziger deutschsprachiger Sänger ist so lang, so kontinuierlich, so erfolgreich im Showgeschäft wie er. Wobei dennoch niemand auf die Idee käme, hier würde jemand irgendeinem Massengeschmack hinterhereilen oder krampfhaft nach dem größten gemeinsamen Geschmacksnenner der Leute fischen. Udo Jürgens singt seit über sechzig Jahren einfach Lieder. Und das tut er auch in Stuttgart.

„Die Sahne heben wir uns auf für später“: So stimmt er das Publikum zu Beginn darauf ein, dass er nur fürs nostalgische Zelebrieren alter Erfolge nicht auf Tournee geht und sich zunächst einmal weitgehend seinen aktuellen Titeln widmen will. „Das gehört doch zu unserem Beruf, zu unserer Kunst“, meint er, „dass wir immer etwas Neues sagen und bringen wollen. Das kann ich Ihnen versprechen“, fügt er noch hinzu, und man glaubt ihm gerade jedes Wort, „wenn ich nichts mehr neues zu sagen haben, dann werde ich Ihnen alle weiteren Auftritte ersparen.“ Auch das typisch Jürgens: ab und zu redet er seine Fans zwar mit „liebe Freunde“ an. Aber niemals käme er auf die Idee, sie zu duzen.

Fast jedes Lied ist eine kleine Geschichte

Wie kreativ Jürgens weiterhin ist, zeigt eben auch seine jüngste CD „Mitten im Leben“, aus der er sich im ersten Konzertteil deswegen ebenso kräftig wie mühelos bedienen kann, weil sie einfach gut ist. Beinahe jedes Lied ist eine kleine Geschichte, wird für sich zelebriert, im respektvollen musikalischen Austausch mit dem Orchester dargeboten und vom Publikum frappierender Aufmerksamkeit verfolgt. Nein, das hier ist keine Schlagerparty und keine Nostalgieshow. Kein „We love to entertain you“, nirgends. Wir erleben einen künstlerisch reifen deutschsprachigen Songwriter. Keinen Liedermacher, sondern einen Chansonnier. „Was mich ein Leben lang unruhig macht“, singt er in „Mein Ziel“, „ist lähmende Ruhe, gespenstische Stille! / Und wenn auch nicht alles gelingen kann, / So spür ich doch: Da ist ein Wille.“

Die Party kommt dann natürlich auch noch, im zweiten Teil, wenn die Fans nach vorn zur Bühne strömen, zum großen traditionellen Miteinander, das irgendwann in den Auftritt im legendären weißen Bademantel mündet. Dann kommen im Medley die „Sahne“, das „ehrenwerte Haus“, die „66 Jahre“. Das ist ja sein Schatz, sagt Jürgens, „diese Lieder waren doch die Basis für alles, was ich erreichen durfte“. Zu ganz großen Nummern werden zwei dieser Schätze: „Ich war noch niemals in New York“ erweitert er im Mittelteil um die schillernde Frank-Sinatra-Big-Apple-Nummer, um dann aber doch zum melancholischen Schluss zurückzufinden. So, wie beim „Griechischen Wein“, den er zunächst extrem verlangsamt zur wehmütig verträumten Erinnerungs-Ballade, um dann aber doch noch den Dreh zum abschließenden Rausch zu finden. Das muss man erstmal können. Er kann’s.

„Zehn nach elf“: auf seiner jüngsten CD hat er sich auch einen ganz neuen Kehraus für seine Auftritte geschaffen, ein zartes, melancholisches Stück für den allerletzten verschwitzten Moment allein am Klavier, ein feines Lied über die Gefühle eines Sängers nach dem großen Konzert, über die Einsamkeit, die Suche, die Sehnsucht nach einem Heimkommen. Kurz zuvor war die Schleyerhalle noch völlig aus dem Häuschen, jubelte, trampelte, toste, wollte ihn eigentlich niemals mehr ziehen lassen. Und nun stehen alle still und stumm und lauschen völlig gebannt diesem Vortrag, kein Mucks ist irgendwo zu hören, die Leute sind ganz und völlig Ohr und Herz. Man hält solche Augenblicke eigentlich für unmöglich. Udo Jürgens macht sie wahr. Fabelhaft.