Der Konflikt mit Russland wird auch in den Medien ausgetragen. In Kiew ist mit Ukraine Today der erste englischsprachige Auslandssender auf Sendung gegangen.

Stuttgart - Eine junge Frau fällt einem Soldaten mit Sturmhaube weinend in die Arme. Schnitt. Die Skyline von Kiew, im Zeitraffer, wechselnd von Tag zu Nacht. Militärflugzeuge. Explosionen. Panzer. Kugelhagel. „Die Ukraine kämpft einen Krieg um ihre Unabhängigkeit“, sagt eine tiefe Stimme aus dem Off. „Es wird Zeit, dass die Welt die Stimme der Ukraine hört. Ukraine Today.“ Es sind Bilder des Krieges, schnell geschnitten und mit pathetischer Instrumentalmusik unterlegt. Pünktlich zum ukrainischen Nationalfeiertag ging am 24. August der erste englischsprachige Auslandssender der Ukraine auf Sendung. Die Mission: das Ausland über die Vorgänge in der Ukraine zu informieren. Was der Trailer zeigen soll, ist klar: Es geht um alles. Nicht nur um die Ukraine, sondern um Europa, um die Welt. „Es ist ein Kampf gegen imperiale Kräfte, die die zivilisierte Welt bedrohen.“

 

Es sind aufgewühlte Zeiten in der Ukraine, auch für Journalisten. Das ist für Tatjana Puschnowa nicht anders. „Viele unserer Bekannten und Freunde kämpfen jetzt dort“, sagt sie mit zittriger Stimme. Aber schon wird die Frau mit dem braunen Pagenkopf wieder kämpferisch. „Wir wollen zeigen, dass wir die europäischen Werte verteidigen, wenn es sein muss, mit dem Leben unserer Bürger.“ Tatjana Puschnowa leitete bis zuletzt die News-Sparte des TV-Senders 1+1, eines der populärsten Fernsehsender in der Ukraine. Jetzt verantwortet sie als Direktorin das Programm von „Ukraine Today“, das von der Redaktion von 1+1 mitbetreut wird.

Die Antwort auf Russia Today

Ist „Ukraine Today“ die ukrainische Antwort auf die russische Propaganda? Seit es im Winter auf dem Kiewer Maidan zum politischen Umsturz gekommen ist, haben die russischen Medien eine beispiellose Propagandaschlacht entfesselt: Gefälschte Dokumente, erfundene Interviews und gefaktes Bildmaterial gehören mittlerweile zur Tagesordnung, um den Machtwechsel in Kiew als „faschistischen Putsch“ zu diskreditieren. Dass man mit den Namen „Ukraine Today“ ausgerechnet an den russischen Sender „Russia Today“ anknüpft, der als Speerspitze der Kreml-Propaganda gilt, hat viele Beobachter irritiert. Soll hier Gleiches mit Gleichem vergolten werden? Propaganda gegen Propaganda?

„Nein“, sagt der Chefredakteur Peter Dickinson, „Ukraine Today ist kein Spiegel, sondern unsere Antwort auf Russia Today.“ Es gehe um Fakten und Objektivität. „Ehrlichkeit – Freiheit – Rechtssicherheit – Würde und Gleichheit“: in dicken Lettern werden die Worte regelmäßig zwischen den Nachrichtenblöcken eingeblendet. Der Schwerpunkt liegt auf Ukraine-Themen, es wird aber auch über das internationale Geschehen berichtet.

An der Objektivität wird gezweifelt

Der Sender trifft in der Ukraine auf viel Sympathie, aber die Objektivitäts- und Gleichheitsansprüche werden von vielen Beobachtern angezweifelt, steht hinter der Mediengruppe doch der einflussreiche Oligarch Ihor Kolomojski, der zudem Gouverneur der ostukrainischen Region Dnjepropetrowsk ist. Kolomojskis Auslandssender reiht sich in mehrere eigenwilliger Initiativen seinerseits ein – wie etwa das Aussetzen eines Kopfgelds auf bewaffnete Separatisten oder der Vorschlag, an der ukrainisch-russischen Grenze eine Mauer zu errichten. Mit der Sondereinheit „Dnipro“ kämpft zudem eine Art Privatbatallion in der Ostukraine, die er mit mehreren Millionen US-Dollar unterstützt. Bisher ist Kolomojskis Politik aber aufgegangen. Dnjepropetrowsk gilt als sichere Bastion gegen den pro-russischen Separatismus.

Ob Kolomojski die Medienarbeit beeinflusst, ist indes unklar. Fakt ist, dass sich Kolomojskis Sender zuletzt eine Medienschlacht mit dem einflussreichen TV-Sender „Inter“ lieferte. „Inter“ ist im Besitz von Dmytro Firtasch, seines Zeichens ebenfalls Oligarch und Kolomojskis Intimfeind. Ehrlichkeit und Objektivität wurden in diesem Fall etwas zurückgestellt. Zudem wird der Sender in einer Zeit aus der Taufe gehoben, in der der ukrainische Journalismus vor einer Bewährungsprobe stehe, so die Journalistin Iwana Kobernik: „Einerseits siehst du diese unverhohlene Aggression von russischer Seite, andererseits bist du als Journalist verpflichtet, auch eben diesen Blickwinkel darzustellen, der dein Land bedroht“, sagt Kobernik. Bei aller Skepsis muss aber klar gesagt werden, dass der Unterschied zwischen der russischen und ukrainischen Berichterstattung enorm ist. „Die russischen Medien erfinden Fakten und verzerren die Wirklichkeit, so weit gehen die ukrainischen Medien nicht”, sagt Diana Dutsik, die als Chefredakteurin von „Media Sapiens“ Medien in der Ukraine und Russland analysiert.

Konflikt zwischen Unabhängigkeit und Patriotismus

Schon vor dem Start hatte „Ukraine Today“ viele Fans. In kurzen Videobotschaften erklärten ukrainische Prominente, warum sie die Gründung des Senders unterstützen. „Meine Freunde in Europa werden jetzt endlich die Wahrheit über die Ukraine erfahren können“, sagte etwa der Hip-Hopper Oleksandr „Fozzy“ Sidorenko.

Das umreißt aber zugleich ein Grundproblem der Agenda: Wirkliche Unabhängigkeit und Patriotismus vertragen sich nicht immer. Als Ausländer sagt sich das freilich leicht. Doch genau diese Zuschauer, die nicht betroffen sind, sind ja die Zielgruppe des Programms. Über den Satellitensender Hotbird soll der Sender bis zum Jahresende 30 bis 40 Millionen europäische Haushalte erreichen und ab 2015 auch in den USA zu empfangen sein.