Baden-Württemberg ist nach Auffassung des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung „meilenweit“ von guten Bedingungen für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap entfernt.

Stuttgart - Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) verlangt, dass Lehrer, die behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam unterrichten, weniger Schulstunden halten müssen. Auch sollten die so genannten Inklusionsklassen deutlich kleiner sein als Regelklassen, erklärten die VBE-Vertreter Gerhard Brand und Ursula Mittag. Sie treten für flexible, bedarfsabhängige Lösungen ein.

 

Der Verbandsvorsitzende Brand warnte davor, dass die hohe Zustimmung zur Inklusion sinken könnte, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmten. Baden-Württemberg erarbeitet gegenwärtig ein Gesetz zur Inklusion an Schulen, das im Herbst in Kraft treten soll. Der VBE appelliert an die grün-rote Landesregierung die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Inklusion gelingen könne.

Derzeit sieht es nicht danach aus. In einer repräsentativen Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des VBE die Haltung der Lehrer in Deutschland zur Inklusion ermittelt. In Baden-Württemberg sprachen sich zwei Drittel für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap aus, bundesweit waren es 57 Prozent. Inklusionsklassen fördern nach Ansicht der Befragten die sozialen Kompetenzen, die Toleranz und die Integration behinderter Kinder.

Das Ganze funktioniert nach Ansicht der Befragten aber nur, wenn ständig ein Lehrer und ein Sonderpädagoge in der Inklusionsklasse präsent sind. Das wollen 89 Prozent der baden-württembergischen Befragten. Schulrechtlich ist eine solche permanente Tandemlösung laut VBE nicht zwingend vorgesehen.

Sonderpädagogen sind Mangelware

Doch Sonderpädagogen sind knapp. Der Verband will, dass die sonderpädagogische Fortbildung aller Lehrer verbessert wird. Jeder vierte Lehrer im Land beurteilt das Fortbildungsangebot zur Inklusion als gar nicht gut, 44 Prozent sind nicht recht zufrieden damit, nur zehn Prozent sind voll des Lobes. Nicht ausreichend sei auch eine Schnellbleiche etwa für Hauptschullehrer, die einen neuen Wirkungskreis suchten, betonte Brand. Mindestens eine halbjährige Fortbildung sei zwingend. Dies ersetze aber nicht die Sonderpädagogen. Der VBE erwartet, dass für das Studium der Sonderpädagogik geworben wird.

Bei den Rahmenbedingungen ergeben sich weitere Defizite. 61 Prozent der baden-württembergischen und 52 Prozent aller Umfrageteilnehmer erklärten, ihre Schule sei gar nicht barrierefrei. Trotz der hohen Zustimmung zur Inklusion sprechen sich 63 Prozent der Lehrer im Südwesten dafür aus, die Sonder- und Förderschulen zu erhalten, bundesweit sagen das 55 Prozent. Die Befragten, wie auch der Verband zweifeln daran, dass Politik und Gemeinden ausreichend Geld in die Inklusion investieren. „Die Schulwirklichkeit bestätigt alle Zweifel“, sagte Brand.

Bisherige Erfahrungen in den Bundesländern zeigten, dass 82 Prozent der Lehrer Inklusionsklassen unterrichteten, ohne dass Inklusion Bestandteil ihres Studiums gewesen wäre. 57 Prozent hätten keine sonderpädagogischen Kenntnisse und 38 Prozent erhielten keine begleitende Fortbildung. 65 Prozent gaben an, dass gewöhnlich nur eine Person in der inklusiven Klasse unterrichte.

„Meilenweit“ von guten Bedingungen entfernt

Auch die Räumlichkeiten seien „vollkommen unzureichend“. An fast jeder zweiten Schule gebe es keine Räume für Kleingruppen. „Es wird von der Politik billigend in Kauf genommen, dass Inklusion an die Wand gefahren wird“, klagt der VBE. Auch Baden-Württemberg sei noch „meilenweit davon entfernt, angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen“ zu sichern.

Wenn die Bedingungen schlecht seien, sinke die Zustimmung zu Inklusion. Das habe sich in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Unter Berufung auf frühere Befragungen sagte Brand, die Zustimmung sei dort innerhalb von vier Jahren erheblich zurückgegangen.

CDU und FDP pflichten dem VBE bei. Monika Stolz (CDU) und Timm Kern (FDP) fordern die Landesregierung auf, für eine auskömmliche Finanzierung und für eine gute Vorbereitung der Lehrer zu sorgen. Der Gesetzentwurf zur Inklusion ist ihnen zu vage. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) versichert, die Fortbildung werde weiter ausgebaut. Man strebe in gruppenbezogenen inklusiven Bildungsangeboten das Zwei-Pädagogen-Prinzip an.