Als die Stadt Backnang die Genehmigung für den Neubau des Hauses am Murrufer erlassen hat, galt noch das alte Wasserrecht. Als die Bauarbeiten indes begannen, war bereits das schärfere neue Gesetz in Kraft. Durfte sich der Bauherr auf die Genehmigung verlassen?

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Die Backnanger Ortsgruppe des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) behauptet, bei dem Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses, der zurzeit in der Gerberstraße entsteht, gehe es nicht korrekt zu. Die Grundfläche des fünfgeschossigen – nach Meinung von vielen Backnangern nicht unbedingt schönen – Betonklotzes seien zu groß, das Bauwerk stehe zudem zu nah am Murrufer. Der Bauherr, die Familie Windmüller, und die Stadt Backnang, die die Genehmigung erteilt habe, verstießen „massiv gegen die Bestimmungen und Vorgaben des Wassergesetzes“, sagt Andreas Brunold vom örtlichen BUND. Er fordert daher, die Bauarbeiten einzustellen, bis die Sache geklärt ist.

 

Auf dem hochwassergefährdeten Areal mitten in der Stadt hatten vorher alte Häuser gestanden, diese sind längst abgerissen worden. Mit dem Neubau gingen rund 370 Kubikmeter Rückhalteraum für Hochwasser verloren, so Brunold. Im Falle eines neuerlichen Hochwassers wie im Januar 2011 – damals standen weite Teile der Backnanger Innenstadt unter Wasser – würde der Pegel noch höher steigen.

Wird der Gewässerrandstreifen eingehalten

Ferner sei fraglich, ob der gesetzlich vorgeschriebene sogenannte Gewässerrandstreifen von fünf Metern zur Murr eingehalten werde. Das Landratsamt habe der Stadtverwaltung bereits im September 2014 mitgeteilt, dass die Baufreigabe und damit der Baubeginn nur erfolgen dürften, falls eine wasserrechtlich Genehmigung des Landratsamts vorliege. Über diese Anordnung habe sich die Stadtverwaltung hinweggesetzt, so Brunold.

Das Landratsamt bestätigt die Aussagen des BUND zum Streit mit der Kommune weitgehend. Eine Sprecherin hat auf Anfrage erklärt, dass die Baugenehmigung durch das Baurechtsamt der Stadt vor dem Inkrafttreten des neuen Wassergesetzes im Dezember 2013 erteilt worden sei. Der Baubeginn sei aber erst danach erfolgt. Nach der Rechtsauffassung des Landratsamtes zielten die gesetzlichen Neuregelungen auf „das tatsächliche Errichten oder Erweitern einer baulichen Anlage ab“. Deshalb, so das Landratsamt, spiele es keine Rolle, ob eine Baugenehmigung vorliege, es komme auch auf die wasserrechtliche Genehmigung an.

Zwei Behörden streiten, und der umstrittene Bau wächst

Und, wie geht’s nun weiter? Zwei Behörden streiten, und der umstrittene Bau wächst. Kürzlich wurde bereits das Richtfest gefeiert. Die Sprecherin des Landratsamts sagt: „Der Vorgang liegt momentan zur Prüfung beim Regierungspräsidium Stuttgart, der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde.“ Das Regierungspräsidium (RP) hat erklärt, dass die Angelegenheit zurzeit geprüft werde. Mitte Juni sei mit einem Ergebnis zu rechnen. Eine RP-Sprecherin sagt indes auch: „Das Landratsamt ist die zuständige Behörde.“

Martin Windmüller sagt, bei einem Vor-Ort-Termin im Jahr 2013 habe ein Vertreter des Landratsamts Zustimmung signalisiert. Die Familie, so Windmüller, sehe das Bauprojekt „nicht als problematisch“. Fast alle Flächen in dem Gebäude, das rund sechs Millionen Euro koste, seien verkauft oder vermietet. Im Herbst solle der Neubau bezugsbereit sein.

Der Leiter des Baurechtsamts der Stadt Backnang, Helmut Wagner, sieht die Stadt und den Bauherren im Recht. Die Baugenehmigung sei doch vor dem Inkrafttreten des neuen Wassergesetzes erteilt worden. Jeder Bürger müsse sich darauf verlassen könne, dass er bauen darf, wenn die Genehmigung der Stadt vorliege. Eine Baugenehmigung sei so etwas wie ein amtliches Versprechen.

Umparken unmöglich – Kommentar von Martin Tschepe

Der Zwist um den Neubau erinnert an die Geschichte, in der es um einen jungen Mann und sein altes Auto geht. Er hatte den Wagen geflogen und war unbekümmert in den Urlaub gefahren. Als er zurückkam, stand eine Parkuhr neben dem Auto und an der Windschutzscheibe hing ein Strafzettel. Er sollte blechen, weil er kein Geld in die Uhr geworfen hatte. Er wehrte sich.

Wie auch immer die Entscheidung des das Regierungspräsidiums Stuttgart jetzt in puncto neues Wasserrecht ausfällt, vermutlich wird sich die unterlegene Seite ebenfalls wehren. Ob der Hinweis der Sprecherin der Aufsichtsbehörde auf die Zuständigkeit des Landratsamts ein Hinweis auf das Resultat der Prüfungen ist, das bleibt offen. Schlägt sich das RP auf die Seite der Waiblinger Behörde, die sagt, die Bauarbeiten hätten nicht beginnen dürfen, denn die wasserrechtliche Genehmigung habe nicht vorgelegen? Wird die vom BUND geforderte Baueinstellungsverfügung tatsächlich erlassen? Und welche Konsequenzen hätte das? Könnte der Bauherr womöglich Schadenersatz bekommen? Und falls ja: Von wem? Lauter spannende Fragen. Der Bauherr sagt, er sehe das Problem gar nicht, denn das Gebäude stehe ja hinter beziehungsweise auf der Hochwassermauer, die zurzeit gebaut werde. Dahinter gebe es so oder so keinen Rückhalteraum mehr für Hochwasser.

Der junge Mann hat damals übrigens sein Auto nach dem Urlaub weg gestellt – er musste den Strafzettel nicht bezahlen. Aber bei einem fünfgeschossigen Haus ist die Sache nicht so einfach, man kann es nicht schnell mal umparken.