Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)


Der Besuch im Polizeipräsidium


Denkwürdig war vor allem Stefan Mappus' Besuch im Polizeipräsidium auf dem Pragsattel. Zehn Tage vor dem Einsatz erschien er dort, um den Beamten für ihr bisheriges Engagement bei Stuttgart 21 zu danken und ihr besonnenes Verhalten zu loben. Wieder fehlte Innenminister Rech, dafür war als Überraschungsgast Umweltministerin Tanja Gönner und der Polizeisprecher der CDU-Fraktion, Thomas Blenke, mitgekommen - zwei seiner engsten Vertrauten. Der Auftritt in der Kantine diente sichtlich dazu, sich der Loyalität der Beamten zu versichern. So sparte Mappus nicht mit Versprechungen: Er werde sich um Körperschutz und Helme kümmern sowie um Geld für den Ausgleich der vielen Überstunden. "Auch für die kommenden Wochen wünschte der Regierungschef ein gutes Gelingen des Einsatzes...", hieß es in der Sonderausgabe der Polizeizeitschrift.

Dort wird auch Stumpfs Äußerung reportiert, dass die "Politik, entgegen manch anderslautender Äußerungen, keinen Einfluss auf die Einsatztaktik ... nehme". Bemerkenswert: öffentlich war dieser Verdacht bis dahin nie laut geworden, intern dagegen seit Wochen. Der Präsident dürfe nichts alleine entscheiden, wunderten sich Beamte, immer müsse er erst Rücksprache nehmen - mit wem, blieb unklar.

Wie ferngelenkt wirkte er zuweilen schon, als noch die Parole Deeskalation galt: Angeblich hätte er bei gewissen Grenzüberschreitungen gerne etwas härter eingegriffen, entschied nach dem üblichen Telefonat aber anders. "Ich kann nicht...", "Ich darf nicht...", "Ich muss... ", wird der 59-Jährige aus internen Gesprächen zitiert. "Musste" er auch, als von einem Tag auf den anderen die Strategie wechselte? Als "von Woodstock auf Wackersdorf" umgeschaltet wurde, wie ein Polizeimann es umschrieb?

"Wo darf ich Sie anfassen", hatten sich Beamte höflich erkundigt, ehe sie am Nordflügel Demonstranten wegtrugen. Nun fuhr die Staatsgewalt plötzlich Wasserwerfer auf und räumte mit Pfefferspray und Schlagstöcken den Weg frei. Dass ihr dabei sogar Schüler in die Quere kamen, war zwar vorhersehbar, aber offenkundig nicht eingeplant. Am Ende gab es mehrere Hundert Verletzte, vorwiegend aufseiten der Demonstranten.

Image der Polizei sei beschädigt


Zur altbewährten "Stuttgarter Linie" - erst klare Ansage, dann konsequentes Vorgehen - passte weder die lange, übergroße Milde noch die jähe Härte. "Die Polizei ist missbraucht worden", sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Rüdiger Seidenspinner. Sie müsse für Mappus' "Brecheisenpolitik" herhalten und das Unvermögen von Politik und Bahn ausbaden, den Bürgern ihr Milliardenprojekt zu vermitteln.

Das in Jahrzehnten gewachsene gute Image der "Bürgerpolizei" sieht Seidenspinner nachhaltig beschädigt. Ein Kollege, erzählt er, sei daheim von seinem halbwüchsigen Sohn gefragt worden: "Papa, hast du auch Kinder geschlagen?" Von Mappus hätte sich der Gewerkschaftschef an jenem "schwarzen Donnerstag" irgendein Signal gewünscht, um die Zuspitzung im Schlossgarten zu verhindern; über die Lage dort müsse er ja laufend informiert worden sein. Doch vom Premier war nach seinem Termin im Bierzelt nichts mehr zu hören und zu sehen.