Der Jurist Holm Putzke gilt als der geistige Vater eines Urteils zur Beschneidung, das Moslems und Juden empört. Er war es, der mit einem Fachaufsatz das Thema in der Gedankenwelt der Juristengemeinde etablierte. Das hört er aber nicht gerne.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Passau - Sieht es so aus, wenn ein Wunsch in Erfüllung geht? Da prangt also das Konterfei von Holm Putzke an prominenter Stelle der örtlichen Zeitung, und dazu ist die Überschrift zu lesen: „Passauer Jurist bedroht und beleidigt“. Anlass für die Schlagzeile ist eine Flut von E-Mails, die den Strafrechtsprofessor in diesen Tagen erreichen. Anlass für die E-Mails ist ein Urteil des Landgerichts Köln. Das hatte kürzlich die Beschneidung von Jungs aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet, trotz Einwilligung der Eltern. Dabei hat es sich auf ein juristisches Argumentationsmodell berufen, als dessen Vater Holm Putzke anzusehen ist. Der hört das nicht gerne. Aber er war es, der mit einem Fachaufsatz im Jahr 2008 das Thema in der Gedankenwelt der Juristengemeinde etablierte. Sein Aufsatz schloss mit dem Wunsch, die Rechtsprechung möge sich der Sache annehmen – und zwar bald. Der Wunsch gilt nun als erfüllt.

 

„Ein bisschen fett“ nennt Putzke die Zeitungsschlagzeile. Vor ihm steht ein Teller mit Ricottatortellini in Spinatsoße, hinter ihm fließt der Inn ziemlich zügig zur Donau hin. Putzke hat Schwielen an den Händen. Nicht wegen der E-Mails, die es zu beantworten gilt, sondern wegen der harten Trainingseinheiten. Der Professor ist Schlagmann im Präsidentenachter, und bald ist es Zeit für den jährlichen Ruderwettkampf. Beim Rudern folgt die Mannschaft dem Schlagmann, der gibt das Tempo vor. Die meisten Menschen, die Putzke wegen des Beschneidungsurteils schreiben, folgen ihm auch. Von den rund 2500 Mails seien mehr als 95 Prozent positiv und zustimmend, sagt er. Dass es die inhaltlichen Ausreißer in die Überschrift geschafft haben, nimmt er mit einem süffisanten Lächeln zur Kenntnis. So ist sie halt nun mal, die Presse – Putzke sagt das nicht, aber man sieht, dass er so etwas denkt.

Streng juristisch, absolut stringent

Was Putzke in Sachen Beschneidung von Kindern bewegt, das hat er auf 40 Seiten zusammen begründet. Streng juristisch, absolut stringent. Sehr kurz zusammengefasst: erlaubt soll die Beschneidung von kleinen Jungs nur dann sein, wenn ganz akute, medizinische Gründe dafür vorliegen. Erst im letzten Drittel seiner Ausführungen beschäftigt sich der Rechtsprofessor mit den Beschneidungen aus religiösem Anlass, wie es sie im Judentum und im Islam gibt. Er kommt zu dem Schluss, dass auch dies unzulässig sei und Eltern gar nicht das Recht dazu haben, ihre Zustimmung zu dem Eingriff zu geben.

Seitdem sich das Kölner Landgericht diese Argumentation zu eigen gemacht hat, laufen die beiden Religionsgemeinschaften in seltener Übereinstimmung gegen diesen Gedanken Sturm. Am Wochenende beschlossen Vertreter von muslimischen und jüdischen Gemeinden in Augsburg zusammen eine Erklärung, die den Gesetzgeber auffordert, Rechtssicherheit zu schaffen. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sieht im Beschneidungsverbot einen Eingriff in die Religionsfreiheit. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, verlangt eine parteiübergreifende Gesetzesinitiative. Holm Putzke sagt: „Nach 4000 Jahren ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, nicht alles wörtlich zu nehmen, was in der Bibel steht.“

Putzke ist alles andere als ein Religionsrebell

Das klingt gerade so, als sei Putzke ein Religionsrebell. Diesen Gedanken weist er entschieden von sich. Er sei religiös erzogen worden und habe protestantisch geheiratet, sagt der Mann, der im nächsten Jahr seinen 40. Geburtstag feiern wird und den seine Studenten als locker, amüsant und diskussionsfreudig beschreiben. Einziges Ansinnen seines Aufsatzes sei gewesen zu hinterfragen, warum ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff bei Kindern so kritiklos hingenommen werde, sagt Putzke. Eine Beschneidung soll es erst dann geben, wenn das Kind dem Eingriff selbst zustimmen kann.

Etwas Rebellenhaftes versteckt sich aber doch hinter den wachen Augen, die beim Argumentieren den Gegenüber fixieren. Es ist das stete Bestreben, gerade die Sichtweisen kritisch zu beleuchten, die gemeinhin als traditionell angesehen werden – oder, etwas anders ausgedrückt, als gottgegeben. Diese Eigenschaft schreibt Putzke eigentlich seinem Mentor Rolf Dietrich Herzberg zu. Der Bochumer Rechtsdogmatiker sei bekannt dafür gewesen, gerade die Meinung zu hinterfragen, die allgemein als die herrschende gilt, lobt Putzke in einer Festschrift. Das färbt ab. Was andere denken, ist dann zweitrangig.

Ein lohnender Abstecher in die Quizshow von Pilawa

So war das schon, als der junge Assistent Putzke zusammen mit seinem Professor ins Fernsehen gegangen ist, zur Quizshow mit Jörg Pilawa. Was haben sie da die Nase gerümpft an der Bochumer Ruhr-Universität. So etwas macht man doch nicht. Natürlich habe er sich davor überlegt, dass auch eine gewaltige Blamage möglich sei, sagt Putzke. Dann habe das Ist-doch-egal-Gefühl triumphiert. Letztlich haben sich die beiden nicht blamiert, sondern 50 000 Euro gewonnen. Erst bei der Frage, welches Symbol nicht im Wappen von Papst Benedikt XVI. enthalten sei, war Schluss. Von Palmzweig, Mohr, Muschel und Bär wäre die erste Antwort richtig gewesen.

Dass seine Ansichten in Sachen Beschneidung richtig sind, davon ist Holm Putzke auch nach mehreren Diskussionsrunden und vor seiner Teilnahme bei „Anne Will“ heute Abend überzeugt. Obwohl – das ist die Ironie am Rande – seine Ansicht inzwischen zur herrschenden Lehre geworden ist. Das sieht nicht nur der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten so. Zahlreiche Juristenkollegen folgen inzwischen in ebenso zahlreichen Kommentierungen den Argumenten des Passauer Strafrechtsprofessors. Ob irgendwann auch einmal der Bundesgerichtshof oder gar das Verfassungsgericht diese Ansicht vertreten werden, kann heute niemand sagen. Der Ruf, man wolle einen Präzedenzfall schaffen, ist bei den Religionsgemeinschaften zwar schon zu vernehmen, ganz so einfach wie gesagt ist das aber nicht getan.

Die Grenzen der Religionsausübung

Von der „New York Times“ bis hin zum „Sydney Morning Herald“ haben sie über das deutsche Urteil berichtet und den Mann zitiert, der seine Meinung mal recht trocken zum Besten geben kann: „Die Abwägung der Vor- und Nachteile für religiös motivierte Beschneidung ergibt, dass der Nutzen die Nachteile nicht überwiegt“ – oder wahlweise spritzig formuliert: „Die Religionsausübung endet da, wo die Nase des anderen beginnt.“ In seinem blauen Kurzarmhemd, lässig, ohne Krawatte und mit einem fast schon spitzbübischen Grinsen sitzt Holm Putzke da, nippt an seinem Apfelschorle und denkt an die Zukunft, wenn der Beschneidungs-Hype Geschichte ist. Es würde ihn „schon einmal reizen“, sich mit dem Exorzismus der katholischen Kirche strafrechtlich zu beschäftigen, sagt er. Dann schaut er ernst: „Vielleicht schreibe ich das doch nicht, sonst heißt es wirklich, ich habe etwas gegen Religion.“