Die Schussen, ein Zufluss des Bodensees, soll dank neuer Technik sauberer werden. Das Projekt ist Teil eines großen bundesweiten Forschungsvorhabens.

Stuttgart - Einen Fisch aus dem Bodensee, den esse sie gerne, hatte Rita Triebskorn gesagt. Aber einen Döbel, der zeitlebens in der Schussen gelebt habe, „den würde ich nicht essen“. Das Wort hat Gewicht. Denn die Biologin Triebskorn ist Leiterin des Instituts für Evolution und Ökologie sowie Physiologische Ökologie der Tiere der Universität Tübingen. Und sie verantwortet auch ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt, das die Möglichkeit zur Reduktion von Mikroverunreinigungen und Keimen in der Schussen untersucht, einem Zufluss des Bodensees. Die Forschungsarbeiten dort sind Teil eines bundesweites Projekts, das auf drei Jahre angelegt ist, rund 30 Millionen Euro kostet und in zwölf einzelne Forschungsvorhaben gegliedert ist.

 

Was Rita Triebskorn bei einer Informationsfahrt am Montag bei Eriskirch (Bodenseekreis) eher beiläufig gesagt hatte, schaffte umgehend Irritationen. Ist der Genuss von Döbel oder Schneider, den beiden am meisten verbreiteten Fischarten in der Schussen, also doch bedenklich? Keinesfalls, betont umgehend die Pressestelle des Bundesprojektes. Es handle sich keineswegs um einen Rat, sondern um „Frau Triebskorns persönliche Meinung“, wird dort klargestellt. Die Professorin habe also „nicht zum Boykott von Schussenfischen aufgerufen.“ Bei dem „heiklen Thema“ sei eine „differenzierte Darstellung gefragt“. Ansonsten würden „die Fischer in der Region völlig verunsichert“.

Wie wirken sich Mikroverunreinigungen aus?

Zur Verunsicherung aber scheinen die Ökologin Triebskorn wie auch die Gesamtleitung des bundesweiten Forschungsprojekts gleichermaßen beigetragen zu haben. Beide Seiten haben auf unfreiwillige Weise nachgeliefert, was bei der Informationsfahrt, in den Projektbroschüren und in der Darstellung im Internet eher ausgespart worden ist: die Frage nämlich, ob und inwiefern sich die Verunreinigungen mit Keimen, Hormonen und Chemikalien von Fließgewässern wie der Schussen auf den Menschen auswirken. Der bisherige Befund: es scheint Auswirkungen zu geben, auch wenn diese nicht genauer zu benennen sind. In diesem Punkt zumindest gibt es offenkundig noch Forschungsbedarf.

2,7 Millionen Euro kostet das Teilprojekt an der Schussen, wovon das Land rund 250 000 Euro trägt. Aufgrund seines hohen Praxisbezugs soll es als Modell für eine moderne Abwasserreinigung der Zukunft dienen. Die 62 Kilometer lange Schussen gilt als einer der am stärksten mit Schadstoffen belasteten Zuflüsse des Bodensees. Das 790 Quadratkilometer große Einzugsgebiet ist dicht besiedelt und wird sowohl industriell als auch landwirtschaftlich mit Ackerbau und Viehzucht sowie Obstanbau intensiv genutzt. Die Schadstoffe, die in die Schussen geschwemmt werden, gelangen zumindest teilweise auch in den Bodensee, der Trinkwasser für rund 4,5 Millionen Menschen liefert.

Forschungsprojekt an der Schussen

In dem oberschwäbischen Teilprojekt untersuchen die Wissenschaftler, welche Keime und Verunreinigungen im Mikro- und Nanobereich in die Schussen gelangen und welche Auswirkungen dies auf die Fische und wirbellose Tiere wie Schnecken oder Bachflohkrebse sowie weitere Gewässerorganismen hat. Als Vergleichsgewässer dient die 78 Kilometer lange Argen, ein nahe gelegener, weiterer Zufluss des Bodensees, der weit weniger verschmutzt ist.

Erforscht wird insbesondere, wie neue, zusätzliche Reinigungsverfahren mit Ozon- und Aktivkohlefilter in den Kläranlagen Ravensburg-Landwiese, Merklingen und Eriskirch sowie in zwei Regenüberlaufbecken wirken. In Eriskirch wird beides untersucht – die Zerstörung der Verunreinigungen durch Zugabe von Ozon und der anschließenden Reinigung in einem Aktivkohlefilter sowie im Vergleich dazu nur die Entfernung der Schadstoffe mit granulierter Aktivkohle. Kläranlagen neuerer Bauart entziehen den Abwässern bereits heute zwischen 70 und 90 Prozent aller Schad- und Nährstoffe. Spuren von Pestiziden, Hormonen wie Östrogen aus der Anti-Babypille, Schwermetallen, Arzneimittelrückständen wie Diclofenac, Süßstoffen und Industriechemikalien wie Benzotriazole aber werden nicht mitentsorgt. „Wir sind 165 Substanzen auf der Spur“, sagt Rita Triebskorn.

82 Mikroverunreinigungen

Eine von ihr und ihrem Team durchgeführte Studie ergab, dass die Bodenseezuflüsse Argen, Schussen und Seefelder Aach 82 Mikroverunreinigungen aufwiesen, darunter drei Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln. Die Grenzwerte allerdings, welche die Qualitätsnorm der EU-Wasserrahmenrichtlinie überschreiten würden, wurden nie erreicht. Allerdings berücksichtige diese nur 16 Stoffe, betonen die Forscher. 35 dieser bedenklichen Substanzen seien zumindest in einer „relevanten Konzentration“ nachgewiesen worden. 31 davon waren in der Schussen zu finden, 17 in der Seefelder Aach und fünf in der Argen.

Auch mögliche ökologische Folgen wurden festgestellt. So bildeten zuvor unbelastete männliche Forellen, die sechs Wochen lang im Wasser der Schussen gehalten wurden, so genanntes Vitellogenin aus, ein Vorläufer von Eidotterprotein, das nur bei weiblichen Tieren zu finden ist. Die gleiche Wirkung fand sich bei Forellenembryos.

Kein ausreichendes Datenmaterial

Ein Bericht, den der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) jetzt vorgelegt hat, räumt ein, dass bisher kein ausreichendes Datenmaterial über die Auswirkungen dieser Mikroverunreinigungen auf die Umwelt und den Menschen vorhanden ist. „Es gibt Stoffe, die wir auch in kleinsten Mengen in unseren Flüssen und Seen nicht haben wollen“, betonte Untersteller. Sie daraus zu entfernen sei eine schwierige, aber wichtige Aufgabe. Das Bundesprojekt an der Schussen kann dazu beitragen, diese Aufgaben zu bewältigen. Möglich, dass Rita Triebskorn eines Tages den Genuss eines Döbels oder Schneiders aus der Schussen auch wieder empfehlen kann und dies nicht nur ihre persönliche Meinung ist.

Forschung über Schadstoffe in Gewässern

Verunreinigungen
Immer mehr Schadstoffe und Krankheitserreger gelangen trotz moderner Kläranlagen noch immer in Fließgewässer und Seen. Die Keime, Chemikalien und Hormone sowie andere Verunreinigungen im Mikro- und Nanobereich können Fische, Krebse und andere Lebewesen schädigen.

Forschung
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat bis 2015 bundesweit zwölf Forschungsprojekte unter dem Titel „Risikomanagement von neuen Schadstoffen und Krankheitserregern im Wasserkreislauf“ (RiSKWa) aufgelegt und stellt dafür rund 30 Millionen Euro zur Verfügung.

Schussen
Eines der Projekte widmet sich dem oberschwäbischen Fluss Schussen. Daran beteiligt sind 19 Partner, darunter die Universität und das Regierungspräsidium Tübingen, das Institut für Seenforschung Langenargen sowie die Stadt Ravensburg und die Gemeinden Eriskirch, Tettnang und Merklingen.