Bei seiner Afrikareise besucht Außenminister Frank-Walter Steinmeier auch Martin Kobler, den UN-Bevollmächtigen für den Kongo. Der gebürtige Stuttgarter ist Deutschlands prominentester Diplomat. Er leitet eine der heikelsten UN-Missionen.

Kingshasa - Wann immer im Radio etwas Dramatisches gemeldet wird, sagt Gery Brasselle, weiß er, dass er sein Köfferchen packen muss. Heute ist es wieder so weit: Der Hüne mit dem kahlgeschorenen Kopf hat seine sieben Sachen in die Tasche und die Pistole in das Holster gesteckt, um seinem Chef Martin Kobler zum Flughafen zu folgen. „Mit dem Mann“, sagt der Bodyguard aus Belgien, „wird es nie langweilig.“   Dieses Mal ging der Reise des UN-Sonderbeauftragten für die Demokratische Republik Kongo ausnahmsweise kein Massaker oder neuer Kriegsausbruch voraus – zu beidem könnte es aber noch kommen. Denn im Osten von Koblers Mandatsgebiet steht die Entwaffnung der berüchtigten Rebellentruppe FDLR, der Nachfolgeorganisation der ruandischen Völkermörder, an: Die heikelste Operation der seit 15 Jahren dauernden UN-Mission.

 

Wieder einmal steht der Ruf des Staatenbundes auf dem Spiel – und die Reputation Martin Koblers, des prominentesten Deutschen im internationalen Diplomatendienst.   Vor dem eigens eingerichteten UN-Terminal am Flughafen von Kinshasa reißt Bodyguard Brasselle die tonnenschwere Tür zum gepanzerten Geländewagen mit dem Nummernschild „UN 1“ auf. Seinem eher schmächtigen Chef wäre das womöglich schwer gefallen – auch wenn Kobler vom Joggen drahtig wie ein kenianischer Langstreckenläufer wirkt. Auf dem Weg zur Maschine schüttelt der 61-jährige Schwabe jedem, der nahe steht, die Hand.

An Popularität scheint dem Diplomaten höchstens noch „Bill Clinton“ das Wasser zu reichen: So nennt sich der kongolesische Rapper mit cooler Sonnenbrille und goldener Kappe, der heute im UN-Flieger mit nach Goma kommt. Dort, in der ostkongolesischen Krisenstadt, findet am Wochenende ein Festival statt, auf dem auch Kobler sprechen soll. Anders als bei seinem ersten Besuch in Goma, als der Vertreter der damals noch verhassten Blauhelmtruppe mit Steinen beworfen wurde, ist ihm der Jubel der Festivalbesucher sicher. Popstar Clinton und Politstar Kobler posieren kurz für Fotografen: „Ich wünschte, er wäre unser Präsident“, sagt ein Kongolese und meint den deutschen Diplomaten.

Fünf Millionen Menschen Opfer des Massenmords

  Der Flug quer über Koblers Mandatsgebiet dauert mehr als zwei Stunden. Es geht über Urwald, der in den vergangenen 21 Jahren die Kulisse des blutigsten und kompliziertesten Konflikts des Kontinents abgab. Mindestens fünf Millionen Menschen sollen den vom Genozid im Nachbarland Ruanda ausgelösten Wirren zum Opfer gefallen sein. Unter dem Schutz von zwei Millionen Flüchtlingen hatten sich die militanten Hutus nach ihrem Völkermord vor der anrückenden Rebellentruppe der Tutsis in den Kongo verdrückt: Dort blieben sie, selbst als die meisten Hutu-Flüchtlinge wieder in die inzwischen vom Chef der Tutsi-Rebellen, Paul Kagame, dominierte Heimat zurückkehrten.  

Die Gegenwart der Völkermörder machte die mit ihren Seen, Hügeln und Wäldern paradiesisch anmutende Ostprovinzen des Kongos zur Hölle. Teils mit Terror, teils mit Eheschließungen nisteten sich die militanten Hutus unter der Bevölkerung ein, während die ruandische Regierung jeden Anlass nutzte, über die von den Feinden infiltrierte Regionen herzufallen. Dort entstanden immer neue Bürgerwehren und Rebellengrüppchen, die Blutbad mit Blutbad rächten: Selbst Experten hatten bald den Überblick über Namen und Zahl der Milizen und bewaffneten Banden verloren.

Der erste UN-Einsatz brachte keinen Erfolg

Dass sich der Aderlass über Jahrzehnte hinziehen konnte, war den Ressourcen des Landes zu verdanken: Völkermörder, Bürgerwehren und Invasionsarmeen hielten sich an den reichen Gold-, Coltan- und Edelholzvorkommen schadlos.   Schon 1999 sandte die UN eine Schutztruppe in die Region, die mit 20 000 Blauhelmen zur größten, mit einem Jahresbudget von 1,4 Milliarden Dollar zur teuersten und mit Null Erfolg zur nutzlosesten Friedensübung der UN aufwuchs. Die Blauhelme schauten der Gewalt tatenlos zu und tranken Kaffee mit den Rebellen, während die Missionschefs ihre Zeit in Kinshasas Hauptquartier absaßen. Manche UN-Soldaten wurden gar beim Gold- und Marihuana-Handel oder bei der Prostitution mit kongolesischen Mädchen erwischt.

  Koblers Ernennung sollte den Skandal beenden. Der Karrierediplomat war bereits bei Einsätzen im Irak und Afghanistan aufgefallen: Joschka Fischers einstiger Kanzleichef gilt als Mann, der gerne die Ärmel hochkrempelt. Dem Krisenexperten wurde der brasilianische General Carlos Alberto dos Santos Cruz zur Seite gestellt, der sich mit der Zerschlagung der berüchtigten Straßenbanden in Haiti einen Namen gemacht hatte. Beide stattete der Sicherheitsrat mit einem einzigartig robusten Mandat und einer beispiellosen zweitausendköpfigen „Interventionstruppe“ aus, die dem Rebellentreiben mit Waffengewalt ein Ende bereiten sollte. Die Zeit der Blauhelm-Schmach sollte endgültig vorbei sein.

Den Schwaben hätten viele gerne als Regierungschef

  Als Kobler im August 2013 sein Amt antrat, war mit „M23“ gerade wieder eine neue, von Ruanda unterstützte Rebellentruppe entstanden, die weite Teile der Nord-Kivu-Provinz kontrollierte. Die kongolesische Armee FARDC war ihrer Gewohnheit entsprechend geflohen, die Blauhelm-Truppe hatte dem Blitzkrieg wieder tatenlos zugeschaut. Doch bereits drei Monate nach Cruz’ und Koblers Amtsantritt lag die M23 besiegt am Boden – und Kobler, der sich als Pazifist bezeichnet, wurde im Kongo als Held gefeiert. Dass es sich nur um einen Etappensieg handelte, war allen klar: Schließlich war nur eine von mehr als zwei Dutzend Rebellentruppen aus dem Weg geräumt. Die anderen trieben weiter ihr Unwesen – allen voran die „Demokratische Front zur Befreiung Ruandas“ (FDLR), deren Präsident derzeit in Stuttgart wegen Kriegsverbrechen vor Gericht steht.

Martin Kobler kennt fast alle FDLR-Führer persönlich. Doch inzwischen ist die Zeit der Gespräche vorbei: Nachdem die auf rund 1500 Kämpfer geschätzte Miliz eine vom Sicherheitsrat gesetzte Frist zur freiwilligen Entwaffnung am 2. Januar verstreichen ließ, herrscht eigentlich Krieg. Dass trotzdem noch kein Schuss gefallen ist, gefällt Kobler nicht – und es ist der eigentliche Grund, warum er nach Goma gekommen ist. Auf seinem Sechs-Tage-Programm stehen Besuche bei frustrierten Militärbeobachtern, entmilitarisierten Kindersoldaten und einer südafrikanischen Kompanie der Eingreiftruppe. Der lächelnde Top-Diplomat wird unzählige Hände schütteln, mit minderjährigen Kombattanten Mittag essen und soll auf dem Festival das neue Flair von Goma genießen. Viele Kongolesen bedauern, dass nicht der fürsorgliche Schwabe ihr Staatschef ist: „Denn anders als unserem Präsidenten“, sagt ein Schuldirektor einer am Fuß eines Vulkanes gelegenen Stadt, „liegt ihm unser Schicksal am Herzen.“  

Seine Residenz bräuchte dringend einen Anstrich

Im Mittelpunkt von Koblers Besuch steht aber das Treffen der Missionsverantwortlichen, auf dem das jüngste Hindernis des Militärschlags gegen die FDLR erörtert werden soll. Kurz vor Beginn der seit Monaten von Blauhelmen und kongolesischer Armee gemeinsam geplanten Aktion wechselte Präsident Joseph Kabila überraschend die beiden verantwortlichen Generäle aus und setzte ausgerechnet Offiziere ein, die von den Blauhelmen „rot“ klassifiziert wurden. Das bedeutet, dass sie entweder selbst an Übergriffen auf die Bevölkerung beteiligt waren oder solche unter ihrem Kommando nicht geahndet haben.

Nach ihren eigenen Grundsätzen dürfen die UN mit derartigen Kommandeuren nicht zusammen arbeiten, was nach Koblers Worten auch sinnvoll ist: Denn sonst würde der Staatenbund seinen moralischen Kompass verlieren.   Gut möglich, dass Kabila die umstrittenen Generäle absichtlich einsetzte. Denn ob der Präsident die FDLR tatsächlich ausgeschaltet sehen will, ist fraglich: Ihre Umtriebe liefern dem unbeliebten Staatschef Ausflüchte für Versäumnisse und einen Vorwand, unpopuläre Maßnahmen durchzudrücken.

Zurückgekehrt von der Reise, beim Frühstück in seiner nach einem Neuanstrich schreienden Residenz wirkt Martin Kobler erstmals etwas müde. Der Zweijahresvertrag des Sonderbeauftragten läuft im Juli ab, an eine Verlängerung ist offenbar nicht zu denken. „Wenn man den Optimismus verliert“, sagt der deutsche Diplomat, „dann ist es Zeit zu gehen“.