Aus seiner Verachtung für das UN-Gericht in Den Haag hat der Ultranationalist nie einen Hehl gemacht. Der Freispruch dürfte ihn aber dennoch freuen - obwohl er gar nicht im Gericht war.

Den Haag - Der serbische Nationalistenführer Vojislav Seselj ist von allen neun Anklagepunkten zu Verbrechen im Bürgerkrieg auf dem Balkan freigesprochen worden. Die Anklage habe seine Verantwortung für Mord, Deportation, Verfolgung und Folter von Kroaten und Muslimen nicht bewiesen, urteilte das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien am Donnerstag in Den Haag.

 

Der Freispruch war eine große Überraschung. Seselj galt wegen seiner hasserfüllten Propaganda gegen Kroaten und Muslime als einer der schlimmsten Kriegstreiber. Die Anklage hatte wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 28 Jahre Haft gefordert. Nach dem rund 13 Jahre dauernden Verfahren aber erklärte der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti: „Mit diesem Freispruch ist Vojislav Seselj ein freier Mann.“

Seselj will Entschädigung

Seselj selbst war nicht im Gericht. Er kündigte in Belgrad an, eine Entschädigung von 14 Millionen Euro für seine elf Jahre dauernde Haftzeit zu verlangen. Es sei „ein antiserbisches Gericht in der Hand der westlichen Mächte“, sagte der 61-Jährige.

Der Vorsitzende der großserbischen Radikalen Partei (SRS) war 2014 wegen einer Krebserkrankung vorläufig aus der Haft entlassen worden und hatte sich geweigert, der Urteilsverkündung beizuwohnen. Das Gericht hatte ihn im November 2014 nach Serbien reisen lassen, ihn später aber zur Rückkehr aufgefordert. Der ultrarechte Nationalist erklärte jedoch, er werde auf keinen Fall freiwillig nach Den Haag zurückkehren.

Seselj hatte sich dem Gericht 2003 selbst gestellt. Der Prozess war durch seine Wutausbrüche und langen Tiraden auch zu einem Spektakel geworden.

Jubel in Belgrad, Fassungslosigkeit in Kroatien

In Serbiens Hauptstadt Belgrad feierten Seseljs Anhänger den Freispruch mit Beifall, Rufen und Freudenschreien. Der Richterspruch könnte seiner Serbischen Radikalen Partei bei den Wahlen am 24. April zugute kommen. Seselj vertritt extrem nationalistische Positionen. Unter anderem lehnt er die EU-Beitrittsbemühungen der Regierung ab und verlangt stattdessen eine enge Anlehnung Serbiens an Russland. Im Wahlkampf zündete er EU-Fahnen an und versprach, sich nur an einer Regierung zu beteiligen, die die EU-Ambitionen Serbiens begräbt.

Fassungslos reagierten zunächst kroatische Medien: „Schock in Den Haag“ schreibt die kroatische Zeitung „Jutarnji list“ und das populäre Portal „Telegram“ kommentiert: „Schändliches Urteil“. Das Urteil ist zugleich eine große Schlappe für die Anklage. Die Richter kritisierten die Beweisführung ungewöhnlich scharf als unzureichend. Die Anklage erwägt, Berufung einzulegen. Das Urteil entspreche nicht der bisherigen „konsistenten Rechtsprechung des Tribunals,“ hieß es in einer Erklärung.

Groß-Serbien propagiert

Als einflussreicher Politiker hatte Seselj seit Beginn der 90er Jahre den Plan eines Groß-Serbien propagiert, in dem Kroaten und Muslime keinen Platz hätten. „Dieser Plan aber ist politisch zu beurteilen und sicher nicht kriminell“, erklärte Richter Antonetti. Auch gebe es keine Beweise, dass seine Hass-Reden serbische Milizen zu Kriegsverbrechen angestachelt hätten. Der Nationalist hatte über sie demnach auch keine Befehlsgewalt.

Erst vor einer Woche war der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic zu 40 Jahren Gefängnis unter anderem wegen des Völkermordes in Srebrenica verurteilt worden.