Eigentlich sind die 40 000 Einwohner der Themse-Insel Canvey ein entspanntes Völkchen. Aber jetzt ist es genug mit der Bevormundung. Die Insulaner wollen es jetzt den Katalanen nachmachen.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Canvey Island ist eine kleine Insel in der Mündung der Themse. In den siebziger Jahren gab es hier eine lebhafte Rockmusikszene, als Dr Feelgood und Ian Dury hier im Pub auftraten. Heute haben die Inselbewohner, wie sie sagen, genug von der ewigen Bevormundung. Das Eiland will eigene Wege gehen. Gäbe es auf Canvey ein Referendum, würden nicht 90, „sondern gleich hundert Prozent der Leute“ für den Abgang stimmen, versichert Dave Blackwell, Gemeinderatsmitglied und Chef der Canvey Island Independence Party (CIIP), der örtlichen Unabhängigkeitspartei.

 

Nun ist es ja so, dass schon einige britische Inseln in den vergangenen Jahren die Unabhängigkeit ausgerufen haben. Zum Beispiel Forewick Holm, droben im Norden Schottlands, das sich Forvik nennt, seit es ein schrulliger Typ namens Stuart „Captain Calamity“ Hill in die Freiheit geführt haben will. Oder Dry Island, an der schottischen Nordwestküste, das nun Islonia heißt und über das ein selbst gekrönter König Ian I. herrscht.

Auf Canvey probt man den Aufstand gegen das Festland

Der Rest der Welt hat keinem dieser abtrünnigen Territorien bisher Anerkennung gezollt. Ein Forvik-Pass hilft an keinem Grenzübergang. Auch die Währung Islonias, die Krabbe, hat sich international nicht durchgesetzt. Das beirrt die Leute von Canvey Island aber keineswegs in ihrem Freiheitsdrang. Ihre schöne Schaf- und Muschel-Fahne soll, wenn es nach Dave Blackwell geht, bald schon stolz über den Fluten der Themse wehen.

Hier, eine halbe Stunde östlich von London, ist die CIIP zu Hause. Hier wird der Aufstand gegen „das Festland“ geplant. Dabei ist Canvey Island gar keine richtige Insel. Den Insel-Status beziehen die 18 Quadratkilometer Land am Themseufer daraus, auf allen Seiten von Flüssen und Flüsschen umgeben und nur über zwei Brücken erreichbar zu sein.

1953 sind hier 59 Menschen in der Sturmflut ertrunken

Schon die alten Römer ließen sich, auf ihrem Weg nach Londinium, gern dort nieder. In der Neuzeit war es ein beliebtes Erholungsplätzchen fernab der City. Jedenfalls bis 1953, als in der Nordsee-Flutkatastrophe 59 Menschen ertranken und 13 000 von der Insel gerettet werden mussten. Dieser Albtraum geht Canvey bis heute nach.

Später wurden Befestigungen gegen Überschwemmungen gebaut, und heute leben hier fast 40 000 Menschen. Dummerweise wurde das Gebiet Anfang der siebziger Jahre verwaltungstechnisch mit angrenzenden Gemeinden vereinigt. Im Gesamt-Kommunalrat würden sie immer überstimmt, klagen die Räte von Canvey. Immer werde ihnen etwas aufgezwungen: Sei es die Baugenehmigung für eine stinkende Raffinerie, sei es der befohlene Abriss eines Gemeindezentrums, das ihnen am Herzen liegt.

„Das Aschenputtel an der Themse“ will keines mehr sein

Kein Wunder, dass von den elf Kommunalräten, die aus Canvey kommen, neun der Unabhängigkeits-Partei angehören. Nun müsse Schluss sein mit der Ohnmacht, erklärt Dave Blackwell. Bisher wäre man mit etwas mehr Autonomie ganz zufrieden gewesen: „Aber jetzt ist es Zeit für einen Schritt zu echter Unabhängigkeit, wie in Katalonien auch.“

Nach Catalonia nun also Canvey Island. Schon stellt sich die Frage, ob London, wenn es hart auf hart käme, den Rebellen ein Referendum zugestehen würde. Königin Elizabeth II. hat sich bisher aus dem Streit vorsichtig heraus gehalten. Dabei haben die Bewohner von Canvey Island gar kein Problem mit der Krone. „Das Aschenputtel an der Themse“ will nur künftig keines mehr sein.