Immer mehr Autofahrer sind mit dem Smartphone unterwegs. Viele bedienen die Geräte auch am Steuer – und unterschätzen laut Experten die zum Teil tödliche Gefahr.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Goslar - Es ist ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, doch die Folgen sind tödlich: Der Mercedes der jungen Frau ist hernach nur noch ein Wrack, sie selbst stirbt an Ort und Stelle, drei andere Personen werden schwer verletzt. So lautet die Bilanz eines kürzlich gemeldeten Unfalls. Die Frau war auf die Gegenfahrbahn geraten, vermutlich, so die Polizei, weil sie mit einer Whatsapp-Nachricht beschäftigt war.

 

Solche und ähnliche tragische Fälle häufen sich nach Ansicht von Verkehrsexperten, weil der Gebrauch von Smartphones zunimmt, weil immer mehr moderne Kommunikationstechnik in die Autos einzieht und weil die Gefahr unterschätzt wird. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Rainer Hillgärtner, der Sprecher des Auto Club Europa (ACE) in Goslar, wo der Deutsche Verkehrsgerichtstag darüber debattiert, wie diesem Risiko zu begegnen ist.

Jeder vierte Autofahrer lässt sich ablenken

Laut dem ACE lässt sich jeder vierte Autofahrer im Wagen von modernen Infotainment-Anwendungen ablenken. Die Folgen seien katastrophal. Schätzungsweise jeder zehnte Verkehrsunfall werde auf diese Weise ausgelöst. Dies ist leicht zu erklären. Denn schon ein kurzer Blick weg von der Straße kann zu einem langen „Blindflug“ führen. Wer etwa bei 130 Stundenkilometern nur fünf Sekunden sein Navi für eine neue Route programmiert, legt in dieser Zeit fast 200 Meter zurück. Laut dem Verkehrspsychologen Mark Vollrath steigt die Gefahr nennenswert schon ab einer Ablenkung von 1,5 Sekunden. Allerdings, so der Braunschweiger Professor, komme es weniger auf die Dauer an als darauf, dass jeder Moment der falsche sein könne, weil womöglich eine plötzlich auftretende Gefahr nicht wahrgenommen werde.

Noch fehlt es an belastbaren Unfalldaten dazu aus Deutschland. Ein Grund dafür ist, dass die Polizei die Kategorie Ablenkung nicht erfasst. Außerdem sind die Ermittlungen oft aufwendig. Erst müsste geschaut werden, ob ein Smartphone im Auto ist, dann müssten die Kommunikationsdaten überprüft und mit dem Unfallzeitpunkt abgeglichen werden. So behelfen sich die Fachleute einstweilen mit anderen Auswertungen. Untersuchungen aus den USA legen nahe, dass das Unfallrisiko sich auf das 23-Fache erhöht, wenn man eine SMS liest oder schreibt. Das heißt: die Gefahr ist viel höher als beim Telefonieren mit dem Mobiltelefon, bei dem das Risiko sich „nur“ versechsfacht. Dass beides verboten ist, steht außer Frage. Wer sich mit dem Handy am Ohr erwischen lässt, muss 60 Euro Bußgeld zahlen und bekommt einen Punkt in Flensburg. Doch die Strafe schreckt kaum ab. Fast 400 000 Verstöße gegen das Handyverbot wurden 2013 vom Kraftfahrtbundesamt registriert. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Denn die Dunkelziffer ist riesig. Nur jeder 3400. Verstoß werde entdeckt, heißt es in Goslar.

Jugendliche brauchen mehr Aufklärung

Gerade junge Leute gelten als besonders gefährdet. Sie sind es gewohnt, sich ständig über Whatsapp, Twitter oder Facebook auszutauschen. Kein Wunder, dass etwa ein Viertel aller 18- bis 24-Jährigen in einer Umfrage zugab, auch am Steuer Kurznachrichten zu schreiben. „Wir brauchen mehr Aufklärung“, sagt Kay Nehm, der Präsident des Verkehrsgerichtstages. Er könnte sich auch vorstellen, das Handyverbot zu erweitern. Ähnlich denkt der Automobilclub von Deutschland. Er regt an, in den Wagen nur noch Kommunikationsgeräte mit Sprachsteuerung zuzulassen.

Technische Änderungen mahnt auch der ACE an. Smartphones oder Navis sollten künftig so ausgestattet sein, dass gewisse Dienste nicht mehr per Handsteuerung verfügbar sind, wenn das Auto in Bewegung sei. Die Hersteller sollten die Risiken untersuchen, sich auf einheitliche Standards verständigen und Systeme gegebenenfalls automatisch deaktivieren. Sei die Industrie dazu nicht bereit, müsse der Gesetzgeber handeln.

Viele Experten in Goslar machen sich auch dafür stark, die Forschung in Deutschland auszubauen. Und sie machen eine wichtige Ergänzung: Nicht nur Handys oder Tablets können in gefährlicher Weise vom Verkehr ablenken, sondern auch der Griff nach der Zigarette, der Streit mit dem Mitfahrer oder das Zeitunglesen am Steuer. Selbst das soll es geben.