Trainiert werden die Handgriffe in sogenannten Skills Labs. In einem dieser Übungsräume liegen auf dem Tisch zwei künstliche Männerarme. Sie fühlen sich fast echt an, nur ist die Haut kalt und weniger weich. Die Venen verlaufen detailgetreu unter der Kunsthaut, rollen beim Abtasten etwas unter den Fingern. Beim Einstich der Nadel strömt dann Kunstblut, hell und dünnflüssig, in das Plastikröhrchen.

 

Im Schrank steht ein Prostatatrainer, ein künstlicher Hintern. Der Simulator kann mit neun verschiedenen Prostatatypen und Rektum-Einsätzen bestückt werden, damit die Studenten das genaue Abtasten lernen. Manchmal gibt es hier auch Freiwillige, die für diese Untersuchung im wahrsten Sinne ihren Po hinhalten. An der Wand stehen verschiedene Modelle, bei denen Herz-Lungen-Geräusche eingestellt werden können, und Puppen, die per Fernsteuerung sprechen, stöhnen und würgen. Hier trainieren die Jungmediziner für den Klinikalltag und für Prüfungen wie heute.

Jobst-Hendrik Schultz, Oberarzt der Inneren Medizin, steht mit verschränkten Armen im Flur mitten im Prüfungsparcours und linst durch die offenen Türen. Als er in den 90er Jahren seinen Abschluss machte, konnte er von solchen Möglichkeiten nur träumen. Von wegen Schweinebauch. Ins Lehrbuch gucken, hieß es. „Wir wären schon froh gewesen, wenn uns ein Dozent eine Bananenschale zum Nähen mitgebracht hätte“, sagt er. Seine erste Magensonde legte er in der Klinik mit weichen Knien und pochendem Puls. Bei einem echten Patienten. Es war ein Notfall. Seit 2007 leitet der Privatdozent das Programm „Medikit“, ein Kommunikations-Training für Medizinstudenten. Hier üben sie mit Hobbyschauspielern, die einen Patienten mimen, bestimmte Gesprächssituationen. Wie, zum Beispiel, überbringe ich schlechte Nachrichten? Was mache ich, wenn ein Patient vor mir ausrastet? Per Video werden solche Gespräche aufgenommen und anschließend gemeinsam besprochen. Ein geschützter Rahmen für die ersten Schritte. Versagen erlaubt, verbessern erwünscht.

64 Patientenschauspieler stehen in der Datenbank. Die jüngste ist 17, der älteste 79 Jahre alt. Gesangslehrer sind dabei, Architekten, Rentner. Jeder von ihnen muss mindestens eine Rolle spielen können. Manche beherrschen bis zu 30 Patientenfiguren. Das Skript, das ihnen vorab zugeschickt wird, ist mehrere Seiten lang, es beschreibt die Charaktere und deren Lebenslauf: vom reichen Schnösel bis zum schludrigen Künstler, vom jeweiligen Schulabschluss bis zum Lieblingsessen. Bevor sie auf die Studenten treffen, trainieren die Schauspieler im Büro vor geschulten Augen ihre Rolle. Ein Fachdozent überprüft später, ob beim Simulationspatienten die einstudierte Krankheit sitzt.

Wolfgang Metz spielt Patienten für 20 Euro die Stunde

Einer dieser Schauspieler ist Wolfgang Metz. Seit zwölf Jahren ist er dabei. Aus Idealismus und wegen des Taschengeldes, sagt er. Etwa 20 Euro verdient er hier pro Stunde. Seine Rolle als Herr Schnelle, ein ungeduldiger und fordernder 46-jähriger Investmentbanker mit Herzrhythmusstörungen, hat er an diesem Morgen noch rasch im Zugabteil auswendig gelernt. Ein Kollege war überraschend ausgefallen. Kein Problem für Metz, 56, der im wahren Leben Anästhesiepfleger ist und sich ganz gut auskennt.

Die Studenten strömen durch die Gänge. DIN-A4-große Zahlen kleben an den Türen und weisen ihnen die Richtung. Innerhalb einer Minute müssen sie an der nächsten Station sein. Ihre weißen Kittel flattern, wenn sie um die Ecken biegen, die Sohlen der Sneakers quietschen auf dem glatten Fußboden. Der Student, der eben noch Bereitschaftsarzt war, nimmt am nächsten Tisch Platz und streckt dem Prüfer ein Papier mit einem QR-Code entgegen. Der Chirurg scannt ihn mit seinem Tablet – auf dem Display erscheint eine Bewertungsmaske mit dem Namen des Studenten. Der nächste Pfiff schrillt durch den Flur und gibt das Signal an den Prüfer. Jetzt läuft die Uhr auf dem Bildschirm runter. Fünf Minuten.

Herr Schuster, eben noch ein fiktiver Unterleibspatient, hat jetzt nur noch die Form eines Fleischlappens. Der Chirurg lässt das schnitzelgroße Stück Schweinebauch vor dem Studenten auf den Tisch plumpsen. Rosa glänzt es auf einer Art Küchenkrepp. „Wundnaht nach Donati, bitte“, lautet die Aufgabe. Mit etwas zittrigen Händen greift der Student zu Pinzette, Nadelhalter und Faden. Die Pinzette hält er, zwischen Daumen und Zeigefinger eingeklemmt, ruhig in der linken Hand und fixiert mit ihr die Haut. Mit seiner Rechten durchsticht er mit der gebogenen Nadel die obere Hautschicht und das Fettgewebe, zieht den blauen Faden ein paar Millimeter vom Einstich entfernt wieder heraus und setzt den zweiten Stich, dieses Mal nicht so tief, nur in die obere Haut. Zufrieden zieht er den Faden wieder raus. Knoten, fertig.

Detailgetreue Venen unter der Kunsthaut

Trainiert werden die Handgriffe in sogenannten Skills Labs. In einem dieser Übungsräume liegen auf dem Tisch zwei künstliche Männerarme. Sie fühlen sich fast echt an, nur ist die Haut kalt und weniger weich. Die Venen verlaufen detailgetreu unter der Kunsthaut, rollen beim Abtasten etwas unter den Fingern. Beim Einstich der Nadel strömt dann Kunstblut, hell und dünnflüssig, in das Plastikröhrchen.

Im Schrank steht ein Prostatatrainer, ein künstlicher Hintern. Der Simulator kann mit neun verschiedenen Prostatatypen und Rektum-Einsätzen bestückt werden, damit die Studenten das genaue Abtasten lernen. Manchmal gibt es hier auch Freiwillige, die für diese Untersuchung im wahrsten Sinne ihren Po hinhalten. An der Wand stehen verschiedene Modelle, bei denen Herz-Lungen-Geräusche eingestellt werden können, und Puppen, die per Fernsteuerung sprechen, stöhnen und würgen. Hier trainieren die Jungmediziner für den Klinikalltag und für Prüfungen wie heute.

Jobst-Hendrik Schultz, Oberarzt der Inneren Medizin, steht mit verschränkten Armen im Flur mitten im Prüfungsparcours und linst durch die offenen Türen. Als er in den 90er Jahren seinen Abschluss machte, konnte er von solchen Möglichkeiten nur träumen. Von wegen Schweinebauch. Ins Lehrbuch gucken, hieß es. „Wir wären schon froh gewesen, wenn uns ein Dozent eine Bananenschale zum Nähen mitgebracht hätte“, sagt er. Seine erste Magensonde legte er in der Klinik mit weichen Knien und pochendem Puls. Bei einem echten Patienten. Es war ein Notfall. Seit 2007 leitet der Privatdozent das Programm „Medikit“, ein Kommunikations-Training für Medizinstudenten. Hier üben sie mit Hobbyschauspielern, die einen Patienten mimen, bestimmte Gesprächssituationen. Wie, zum Beispiel, überbringe ich schlechte Nachrichten? Was mache ich, wenn ein Patient vor mir ausrastet? Per Video werden solche Gespräche aufgenommen und anschließend gemeinsam besprochen. Ein geschützter Rahmen für die ersten Schritte. Versagen erlaubt, verbessern erwünscht.

64 Patientenschauspieler stehen in der Datenbank. Die jüngste ist 17, der älteste 79 Jahre alt. Gesangslehrer sind dabei, Architekten, Rentner. Jeder von ihnen muss mindestens eine Rolle spielen können. Manche beherrschen bis zu 30 Patientenfiguren. Das Skript, das ihnen vorab zugeschickt wird, ist mehrere Seiten lang, es beschreibt die Charaktere und deren Lebenslauf: vom reichen Schnösel bis zum schludrigen Künstler, vom jeweiligen Schulabschluss bis zum Lieblingsessen. Bevor sie auf die Studenten treffen, trainieren die Schauspieler im Büro vor geschulten Augen ihre Rolle. Ein Fachdozent überprüft später, ob beim Simulationspatienten die einstudierte Krankheit sitzt.

Wolfgang Metz spielt Patienten für 20 Euro die Stunde

Einer dieser Schauspieler ist Wolfgang Metz. Seit zwölf Jahren ist er dabei. Aus Idealismus und wegen des Taschengeldes, sagt er. Etwa 20 Euro verdient er hier pro Stunde. Seine Rolle als Herr Schnelle, ein ungeduldiger und fordernder 46-jähriger Investmentbanker mit Herzrhythmusstörungen, hat er an diesem Morgen noch rasch im Zugabteil auswendig gelernt. Ein Kollege war überraschend ausgefallen. Kein Problem für Metz, 56, der im wahren Leben Anästhesiepfleger ist und sich ganz gut auskennt.

Ein Student, der in der Prüfung den Hausarzt spielt, bespricht mit ihm die Medikation. „Ich hab grad ’ne Frau kennengelernt und die Tabletten abgesetzt“, brummt Herr Schnelle alias Wolfgang Metz. „Die haben auf meine Libido geschlagen.“ Der rotbackige Student nickt verständnisvoll: „Mmmh, na klar.“ Das könne er verstehen, aber einfach ohne Rücksprache absetzen, das finde er nicht gut. Am Ende einigen sie sich auf eine neue Arznei.

Am Mittag ist Wolfgang Metz nicht mehr wiederzuerkennen. „Ich bin jetzt 67, habe Diabetes und bin von Beruf Gabelstaplerfahrer“, sagt er. In der Pause hat er mal eben 20 Kilogramm zugelegt. „Meine Frau brät mir jeden Tag ein Schnitzel“, erklärt er und klatscht sich mit beiden Händen auf den runden Bauch. Sein graues Hemd spannt an allen Ecken. Ein Fettanzug formt seinen Körper zu einer Birne. Der Anzug sei wichtig, um komplett in seine neue Rolle zu schlüpfen, erklärt Wolfgang Metz. Die Prüflinge werden ihm und seiner Frau später einen Ernährungsberater empfehlen.

Oberarzt Jobst-Hendrik Schultz ist zufrieden mit dem, was er durch den Türspalt sieht. Für ihn ist eine OSCE-Prüfung die perfekte Ergänzung zu den Multiple-Choice-Klausuren. Diese seien zwar super, um schnell sehr viel Wissen abzufragen, aber das reiche schon lange nicht mehr. „Wir wollen nicht nur wissen, was der Student gelernt hat, wir wollen auch sehen, was er davon umsetzen kann“, sagt Schultz. Seine Studenten sollen ihre erste Magensonde nicht erst in der Klinik legen, mit wackligen Knien und dem Lehrbuch vor Augen, so wie er damals. Sie sollen es besser haben.