Zwei Gründer aus Stuttgart entwickeln eine Anwendung, die die Therapie bei Menschen mit einer Depression unterstützen soll. Die Europäische Union fördert die Idee.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Alexandra Rudl weiß, wie hilflos man sich fühlt, wenn ein geliebter Mensch an einer Depression leidet. Auch nachts hatte sie ihr Handy auf laut gestellt, als eine enge Angehörige in einer akuten Phase war, um keinen Hilferuf zu verpassen. Über ihre persönliche Betroffenheit ist die Stuttgarterin zur Gründerin geworden. „Mir ist aufgefallen, dass bestimmte Sachen nicht optimal laufen“, sagt Alexandra Rudl. Die Behandlung müsste sich verbessern lassen, fand sie.

 

Alexandra Rudl nennt ein Beispiel: Wenn der Psychologe ihre Angehörige gefragt hat, wie es ihr in letzter Zeit ergangen sei, sei die Antwort oft eine irreführende Momentaufnahme gewesen. „Sie hat es auf den Tag bezogen erzählt“, sagt sie. Habe an dem Tag zufälligerweise die Sonne geschienen, habe sie alles viel zu rosig dargestellt. Dabei ist sie an den vorherigen Tagen vielleicht gar nicht aufgestanden.

Der Nutzer entscheidet, wer die Daten bekommt

So kam die 32-Jährige auf ihre Gründungsidee: eine App für psychisch Kranke beziehungsweise – im ersten Schritt – für Menschen mit einer Depression. Die Anwendung auf dem Smartphone oder Tablet wertet Daten aus, die über ein Armband mit Sensoren gesammelt werden. Zusätzlich kann der Patient sein subjektives Empfinden als Notiz hinterlegen. Eingebaut werden soll auch eine Art Hilfeknopf, der direkt zu einer Person führt, die im Notfall für einen da ist. Die Daten können vom Patienten für den Therapeuten freigeschaltet werden oder für Angehörige. Ob dies geschieht, entscheide der Nutzer, betont Mirko Ross, den Alexandra Rudl als Mitstreiter gefunden hat. Ross ist Geschäftsführer der App-Entwickler-Firma Digital Worx in Vaihingen – und nun auch Entwickler der von Alexandra Rudl gegründeten Firma Dimago. Die Innovation von Dimago sei dabei nicht die Sammlung der Daten, sondern die Interpretation von ihnen, erklärt der 42-Jährige.

Doch inwiefern können körperliche Signale Rückschlüsse auf den psychischen Zustand eines Menschen geben? Depressive Menschen hätten oft Schlafprobleme und ein morgendliches Tief, sie bewegten sich weniger, erklärt Rudl. Das lasse sich messen, deshalb seien die Daten durchaus aussagekräftig. Wenn der Puls permanent auf einem höheren Niveau sei, deute dies zudem auf eine chronische Stressbelastung hin. Mirko Ross gibt ein Beispiel, wie ein Therapeut die von der App ausgewerteten Daten einfließen lassen könnte: „Dienstag haben Sie sich kaum bewegt. Was war da los?“ Er könne konkreter fragen.

Krankenkassen sind außen vor

„Das ist eine gute Unterstützung, eine sinnvolle Ergänzung zum direkten Kontakt“, meint auch der Leitende Oberarzt der Psychiatrie der Uniklinik Heidelberg, Knut Schnell. Gerade der Antrieb eines Patienten lasse sich über solche Armbänder gut messen, ebenso wie die Stressmerkmale. „Depression ist auch eine Stresserkrankung“, erläutert Schnell, der im Beirat der jungen Firma sitzt. Der Bereich E-Mental-Health sei stark im Wachsen, berichtet Schnell. Da sei es wichtig, das Thema nicht den großen Unternehmen wie Apple zu überlassen, die zudem nicht so strengen Datenschutzbestimmungen unterlägen wie ein deutsches Unternehmen. Die Daten seien sicher, sagt auch Ross. Die Krankenkassen erhielten diese nicht, betont er. Beim Thema Sicherheit würden sie von einem Expertenbeirat unterstützt.

Momentan ist Dimago dabei, einen Prototypen zu entwickeln. Dafür bekommen sie von der EU über ein Förderprogramm 50 000 Euro. Dass die Gründung so gut vorangeht, hängt auch damit zusammen, dass Alexandra Rudl sich bei dem Thema bestens auskennt. Sie arbeitet hauptberuflich bei der Initiative Bwcon, berät dort Gründer.

Klinische Studie der nächste Schritt

Um auch in die dritte Förderstufe des Programms zu kommen, müssen Rudl und Ross im Juli bei einer Präsentation in Amsterdam noch die Jury überzeugen. Von 40 Ideen werden dort 20 ausgewählt, die in die praktische Erprobung gehen. Dann könnten die Stuttgarter mit einer klinischen Studie beginnen.