In den Ballungszentren wird der Platz für landwirtschaftlich genutzte Flächen immer knapper. Das macht innovative Konzepte erforderlich. Die Städte rücken immer näher an die Felder heran – und in den Städten werden auch Dachflächen für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt.

Stuttgart - Die Vision ist kühn: Agrarforscher an der Uni Hohenheim arbeiten an einem Projekt, Reis in Hochhäusern in dicht besiedelten Städten anzubauen. Skyfarming heißt das im Fachjargon. Die Technik scheint weniger das Problem zu sein, die wirtschaftlichen Aspekte sind es schon eher. Ob und wie sich eine innerstädtische vertikale Farm in Zukunft realisieren lässt, ist derzeit kaum absehbar.

 

Realität dagegen ist, dass die Landwirtschaft in städtischen Ballungsräumen einen zunehmend schweren Stand hat. Das gilt auch für Stuttgart, wie Klaus Brodbeck, der Kreisvorsitzende des Bauernverbands Stuttgart, auf einem Symposium an der Uni  Stuttgart erläuterte. „Transistorische Stadtlandschaften – Welche Landwirtschaft braucht die Stadt? Experimentier- und Produktionsräume für die Stadt von morgen“, lautet der vollständige Titel einer Veranstaltung, die jetzt vom Institut für Landschaftsplanung und Ökologie und dem Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung organisiert wurde.

„Für die Landwirtschaft ist der Boden der entscheidende, nicht vermehrbare und (scheinbar) unverzichtbare Produktionsfaktor“, hatten die Veranstalter in der Einführung zum Symposium betont. Das in Klammern gesetzte Wort „scheinbar“ stößt bei Brodbeck denn auch sofort auf Widerspruch. Für den Landwirt, der rund um Möhringen 65 Hektar Land – aufgeteilt in 120 Parzellen – bewirtschaftet, gibt es nichts an der Tatsache zu rütteln, dass der Boden ein absolut unverzichtbarer und auch nicht vermehrbarer Produktionsfaktor ist. Davon gibt es aber immer weniger: Nur noch 23 Prozent der Stuttgarter Stadtfläche werden landwirtschaftlich von etwa 200 Betrieben bewirtschaftet. Schwerpunkte sind der Weinbau im Neckartal und die Ackerland-Nutzung auf den Fildern.

Schwierige Bedingungen

Die Bedingungen für die Landwirtschaft im städtischen Raum sind schwierig: Feldwege werden zugeparkt, Ackerflächen und Wiesen dienen als Hundeklo, Tierhaltungen sind wegen der Geruchsbelästigung problematisch. Außerdem klagen städtische Bauern und Weingärtner oft über Vandalismus und Diebstahl. Auf der anderen Seite lobt Brodbeck den größten Vorteil von Ballungsräumen: die große Nähe zum Verbraucher. So ist es nur folgerichtig, dass auch in Stuttgart viele landwirtschaftliche Betriebe ihre Produkte direkt vermarkten, sei es in eigenen Hofläden, auf Wochenmärkten oder mit Selbstpflückfeldern.

Immer wieder wurde auf der Tagung deutlich, dass die Landwirtschaft im städtischen Umfeld neue Wege gehen muss – und auch geht. So werden die Bauern in Ballungsregionen immer mehr zu Dienstleistern, die nicht nur Agrarprodukte erzeugen und vertreiben, sondern sich auch andere Einkommensquellen erschließen: Hofcafés, Hofführungen für Schulklassen, Scheunenevents, Kindergeburtstage oder Kutschfahrten sind gängige Beispiele. Sehr verbreitet ist auch das Angebot, Gastpferde aufzunehmen. Und Maislabyrinthe sind inzwischen in der Nähe vieler urbanen Regionen zu finden. „In der Vielfalt liegt die Chance zum Überleben“, fasst Klaus Brodbeck die Bemühungen der Landwirte in Ballungsgebieten zusammen.

„Kuhkuscheln“ in den Niederlanden

Doch darüber hinaus gibt noch deutlich ungewöhnlichere Aktivitäten. So berichtet Rolf Born von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen von einem Betrieb in den Niederlanden, bei dem der Mann die Kühe versorgt und die Frau, eine Psychologin, „Kuhkuscheln“ anbietet: Da kann man sich gegen Bezahlung auf der Weide neben die Kühle legen und deren Wärme und Bewegungen spüren – ein finanziell offenbar recht einträgliches Modell, wie Born findet.

Während all diese Geschäftsideen darauf basieren, dass der Landwirt traditionell seinen Hof bewirtschaftet, werden gerade im städtischen Umfeld Projekte immer häufiger, bei denen sich die Stadtbewohner landwirtschaftlich betätigen. So kann man inzwischen beispielsweise mit Gemüse vorbepflanzte Feldparzellen mieten und selbst bewirtschaften – eine ganz besondere Form des allgemein florierenden urbanen Gärtnerns. „Hier liegt der Schwerpunkt nicht auf der Gemüseernte, sondern auf dem Lernen: „Wie mache ich  das?“, berichtet Brodbeck. So können beispielsweise künftige Schrebergärtner schon einmal Erfahrungen sammeln, bevor sie einen Garten pachten oder kaufen.

Der Möhringer Ökolandwirt Christoph Simpfendörfer betreibt seinen Hof mittlerweile teilweise als sogenannte Solidarische Landwirtschaft – auch ein Experimentierfeld für neue Bewirtschaftungsformen, die vor allem im urbanen Raum interessant sind. Die Idee dahinter: eine Vereinigung privater Haushalte finanziert nicht die Lebensmittel, sondern die Kosten des landwirtschaftlichen Betriebs, der dahintersteckt. Im Gegenzug erhalten sie die Ernteerträge. Über mangelnden Zulauf kann sich Simpfendörfer nicht beklagen – Tendenz steigend. Finanziell jedenfalls steht das Projekt auf sicheren Füßen.

In wirklich dicht besiedelten Städten helfen solche landwirtschaftlichen Projekte allerdings nur begrenzt weiter – ganz einfach, weil hier der Platz fehlt. Da liegt dann doch die Idee nicht fern, auf brachliegende Dachflächen auszuweichen und diese nicht nur gärtnerisch, sondern auch landwirtschaftlich zu nutzen. In asiatischen und amerikanischen Megacitys gibt es bereits die ersten Dachfarmen. Nun wollen sich auch die Berliner im „rooftop farming“ versuchen. Die technischen Grundlagen sind bereits gelegt, wie Grit Bürgow vom Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen der Technischen Universität Berlin berichtet. Im Hof eines innerstädtischen Wohnkomplexes jedenfalls funktioniert die Bewässerung von Beeten mit aufbereitetem Wasser aus Bad und Küche. Nun werden geeignete Dachflächen gesucht.

Das Wissenschaftsjahr ist der Zukunftsstadt gewidmet

Aktion
Seit 2000 richtet das Bundesministerium für Forschung und Bildung die Wissenschaftsjahre aus. Damit soll der Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gefördert werden.

Zukunftsstadt
Das diesjährige Thema ist die Stadt der Zukunft. Weil immer mehr Menschen in Städten wohnen, sind auch innovative Lösungen gefragt, um das Leben dort lebenswert zu erhalten. Dazu zählt die Anpassung an klimatische Veränderungen und eine möglichst komfortable, sichere und umweltverträgliche Mobilität, aber auch die Versorgung mit Energie, Wasser und Lebensmitteln. Hier sind zum Beispiel Modelle wie urbanes Gärtnern und Dachfarming im Gespräch.

Städtetour
Neben zahlreichen Kongressen und anderen Aktivitäten geht auch das umgebaute Frachtschiff MS Wissenschaft mit diesem Thema auf Tour. Vom 31. Juli bis 3. August ist es in Stuttgart.