In Spaniens Urlauber-Hochburgen fühlen sich manche Regionalpolitiker von den Reisenden überrollt. StZ-Korrespondent Martin Dahms hat Stimmen aus Ibiza, Formentera, Santiago de Compostela und Barcelona gesammelt.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Stuttgart - Ibiza fühlt sich überrollt. „Die Situation entgleitet uns“, sagt die Verkehrsdezernentin des Inselrates, Pepa Marí. Im Juli und August sei Ibiza „übersättigt“: voller Touristen, die sich alle gern ein Auto mieten. Das Straßennetz halte nicht mehr mit. Weswegen der Inselrat jetzt erwägt, eine Mietwagengebühr zu erheben. Auf der kleineren Nachbarinsel Formentera wird Ähnliches diskutiert. „Die Insel kann an ihrem eigenen Erfolg sterben“, glaubt der Anthropologe Ramon Laffargue, „wegen touristischer Vermassung“. Eine der möglichen Lösungen könnte sein: eine Gebühr für alle, die mit dem Auto auf die Insel Formentera übersetzen wollen.

 

Spanien ist so beliebt wie noch nie. Im vergangenen Jahr kamen 65 Millionen ausländische Besucher, ein Allzeithoch. Dieses Jahr werden es wahrscheinlich noch mehr. In der ersten sechs Monaten machten sich 29,2 Millionen Ausländer auf den Weg nach Spanien, 4,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Vor allem Briten (6,7 Millionen), Deutsche (4,7 Millionen) und Franzosen (4,6 Millionen) schätzen das Urlaubsland. Im zweiten Halbjahr kommen gewöhnlich noch mehr als im ersten, weswegen es wohl wieder ein Rekordjahr werden wird. Die Vorhersagen seien „sicherlich positiv“, freut sich Tourismusminister José Manuel Soria.

Ausländische Besucher sind spendabel

Für Spaniens konservative Regierung gibt es an diesem Trend nichts auszusetzen. Die Touristen kommen nicht nur in Massen, sie bringen auch immer mehr Geld ins Land. Im ersten Halbjahr gaben sie 28,3 Milliarden Euro aus, ein Plus von 7,4 Prozent. Was die vermeintliche Entwicklung zum Billigtourismus widerlegt: Wenn die Statistiken stimmen, gab jeder ausländische Besucher in diesem Jahr 3,1 Prozent mehr als im Vorjahr aus. Für die spanische Volkswirtschaft, die gerade aus ihrer langjährigen Krise herausfindet, ist das eine hochwillkommene Nachricht. Der Großteil der neu geschaffenen Arbeitsplätze in den vergangenen Monaten entstand im Gastgewerbe. Gewöhnlich sind das jedoch keine Jobs, die besonders stabil und gut bezahlt wären, aber immerhin.

Während die Politiker in der spanischen Hauptstadt Madrid, in der die Touristen noch nicht zur Plage geworden sind, rundherum zufrieden auf die Lage blicken, rumort es in den Hochburgen des Fremdenverkehrs. Nicht nur auf Ibiza und Formentera. Martiño Noriega, der neue Bürgermeister von Santiago de Compostela, Zielort aller Jakobspilger, beklagt die „Übersättigung“ seiner Stadt. Ada Colau, die neue Bürgermeisterin von Barcelona, einem der beliebtesten Städtereiseziele Europas, hat einen einjährigen Stopp für neue Hotellizenzen verkündet. Fernando Clavijo, der neue Regionalpräsident der Kanarischen Inseln, deren Wirtschaft zu 30 Prozent vom Tourismus abhängt, sorgte mit einem Zeitungsinterview für Schlagzeilen. Darin regte er eine „Begrenzung“ der Besucherzahlen an. Vicent Torres, der Präsident der Handelskammer der Balearen, stieß ins selbe Horn und sagte: „Im Juli und August können wir nicht noch mehr Leute kommen lassen. Sie haben hier keinen Platz mehr.“

Sonne, Strand und Sangria reicht nicht

Noch ist es nicht so weit, dass an den Stadttoren oder auf den Inselflughäfen Touristen wegen Überfüllung abgewiesen würden. Bisher wird vor allem heftig diskutiert – wie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder übers spanische Tourismusmodell diskutiert worden ist. Schon vor 20 Jahren glaubten Kritiker, dass es diesem Modell an „Nachhaltigkeit“ fehle. Sonne, Strand und Sangria seien auf Dauer nicht attraktiv genug, und außerdem profitiere das Land zu wenig von seinen Gästen.

Das sagt heute auch wieder Kanarenpräsident Clavijo, ohne Umschweife: „Uns interessiert, dass der Tourist kommt und Einnahmen hier lässt.“ Das tut er zwar auch heute schon, aber es könnte ja immer etwas mehr sein. Einreisebeschränkungen nach Spanien wird es auch in Zukunft nicht geben. Aber es ist gut möglich, dass einige Regionen dem Vorbild Kataloniens folgen, das seit 2012 von seinen Gästen eine Kurtaxe erhebt. Dem Tourismus in Katalonien hat das nicht geschadet.

Nun will auch die neue linke Regionalregierung der Balearen die so genannte „Ökoabgabe“ (die in Wirklichkeit eine Touristensteuer ist) wieder einführen, wie sie schon einmal 2002 und 2003 erhoben wurde. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy findet den Gedanken zwar nicht schön. Doch er gesteht ein: Der Tourismus auf den Balearen sei „unzerstörbar“, mit oder ohne Ökoabgabe. Damit hat er wahrscheinlich recht.