Der ehemalige Vorstand der Stuttgarter Sozialstiftung Nestwerk muss hinter Gitter. Der 70-Jährige sei unter anderem dafür verantwortlich, dass der Stadt ein Millionenschaden entstanden ist, so das Gericht.

Stuttgart - Günter Necker, Vorsitzender Richter der 6. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart, ist ein Mann klarer Worte. Am Mittwoch haben er und seine Kammer den 70-jährigen ehemaligen Vorstand der Sozialstiftung Nestwerkwegen Untreue in 213 Fällen, wegen Urkundenfälschung, Insolvenzverschleppung und wegen Bankrotts zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. „Das Stiftungsbüro ist zeitweilig zu einer Fälscherwerkstatt mutiert“, so Necker.

 

Der Richter kritisierte zudem, dass der Angeklagte so gut wie nicht kontrolliert worden sei – nicht vom ehrenamtlichen Vorstand, nicht vom Stiftungsrat, nicht von der Stadt. Auch die Banken, die Kredite auf Basis gefälschter Papiere gewährt hatten, hätten nicht so genau hingeschaut.

Den Bock zum Gärtner gemacht

Der Schaden ist immens. Zwischen 2007 und 2010 habe der Angeklagte, der seit 2006 als hauptamtlicher Vorstand von Nestwerk fungierte, rund 740 000 Euro für private Zwecke veruntreut. Um die defizitäre Stiftung und das Tochterunternehmen am Leben zu erhalten, habe er zudem mehrere Millionen Euro veruntreut. Der Angeklagte hat gestanden.

Die Stiftung war 1994 von einem Anwalt gegründet worden. Zweck war die Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Dafür sollten bald überall in der Stadt Sozialunterkünfte gebaut werden. Die Vorgeschichte ist kurios. 1991 war der Angeklagte vom Landgericht Mannheim just wegen Untreue zu über fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sein Verteidiger damals: der spätere Gründer von Nestwerk, der den heute 70-Jährigen kurz nach der Haftentlassung einstellte. „Da hat man den Bock zum Gärtner gemacht“, sagt der Richter.

2006 wurde der Angeklagte zum hauptamtlichen Vorstand – und er begann, sich am Stiftungsgeld zu bedienen. Aber auch der Anwalt als Gründer und ehrenamtlicher Vorstand habe sich an der Stiftung schadlos gehalten, so der Richter. Sein Strafverfahren wurde eingestellt, weil er dauerhaft verhandlungsunfähig ist.

Die Stiftung hatte einen „Heiligenschein“

Der Angeklagte stellte fast 100 Schecks aus und wies sie zur Zahlung an. Der Empfänger waren er und seine Familie. Gattin, Sohn und er selbst wurden mit Autos versorgt, der Sohn wohnte mietfrei in einer Nestwerk-Wohnung in Stuttgart-Berg, private Rechnungen wurden beglichen. Die Selbstbedienungsmentalität ging so weit, dass der 70-Jährige das Münzgeld von Waschautomaten in Nestwerk-Unterkünften in Höhe von insgesamt 14 300 Euro einsammelte und auf das Konto seiner Frau einbezahlte. 10 000 Euro in bar versteckte der Mann in einem Schlüsselschrank – als „Notreserve“, sagt er.

Die sogenannte fremdnützige Untreue, also das Geld, das er für den maroden Geschäftsbetrieb der Stiftung ergaunerte, beläuft sich auf mehrere Millionen Euro. Den Banken legte er unter anderem gefälschte Mietverträge mit der Stadt und Scheinrechnungen vor, um Darlehen zu bekommen. Die Stiftung habe durch ihre Zusammenarbeit mit der Stadt einen „Heiligenschein“ gehabt, sagt Richter Necker. Wenn sich jede Kontrollinstanz auf die andere verlasse, werde am Ende nicht kontrolliert.

Allein die Stadt fordert von dem Angeklagten 4,6 Millionen Euro. Der 70-Jährige hat Privatinsolvenz beantragt. Er befindet sich auf freiem Fuß und bekommt in absehbarer Zeit einen Haftantrittstermin.