Der US-Präsident muss sich – wie noch nie in seiner Amtszeit – mit vielen außenpolitischen Konflikten gleichzeitig herumschlagen. Bis vor Kurzem hat er es geschafft, sich als cooler Krisenmanager zu verkaufen. Doch jetzt zeigt er Nerven.

Washington - Schon früh wollte Barack Obama als cooler Krisenmanager verstanden werden. Als die Weltwirtschaft im September 2008 am Rande des Abgrunds stand, sagte er: „Es ist Teil der Arbeit eines Präsidenten, mit mehr als einer Sache gleichzeitig fertig zu werden.“ Sein Konkurrent um die Präsidentschaft, John McCain, hatte gerade wegen der finanziellen Turbulenzen in den USA seinen Wahlkampf unterbrochen. Damals entstand das Bild eines Mannes, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Obamas Vertraute pflegen es, seit ihr Chef im Weißen Haus sitzt. Doch nach knapp sechs Jahren kratzt eine ungewöhnliche Häufung innen-, vor allem aber außenpolitischer Ereignisse an diesem Bild.

 

Selten musste ein US-Präsident mit so vielen Krisen gleichzeitig jonglieren: Ukraine, Gaza, Irak, Syrien, Afghanistan, Iran. Selten war ein US-Präsident so sehr damit beschäftigt, auf jeden einzelnen Konflikt einzugehen, um daraus auch Lehren für die Eindämmung des anderen Konflikts zu ziehen. So soll der Präsident etwa laut „New York Times“ schon kurz nach dem Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeugs über der Ukraine einem Vertrauten gesagt haben, die Katastrophe sei genau der Grund, weshalb er den Anti-Assad-Rebellen in Syrien keine Luftabwehr-Waffen geliefert habe. Sobald diese Raketen außerhalb der Kontrolle einer verlässlichen Regierung seien, steige die Gefahr ins Unermessliche, dass die Waffen gegen Zivilisten eingesetzt würden. Der mächtigste Mann der Welt steht einem Phänomen zahlreicher, sich überlappender Krisen gegenüber, deren Behandlung schwindlig machen könnte.

Ukraine Einerseits versucht Obama Druck auf Russland und Präsident Putin auszuüben, damit es seine Unterstützung für die pro-russischen Separatisten aufgibt und eine Untersuchung des Flugzeugabschusses zulässt. Andererseits brauchen die Amerikaner die Russen, um das Problem des iranischen Atomprogramms zu lösen. Das erklärt auch, warum Obama die US-Sanktionen noch nicht auf ganze Branchen der russischen Wirtschaft ausgeweitet hat.

Obama versucht Druck auf Putin auszuüben

Mit Deutschland liegt er über Kreuz

Europa und Deutschland Eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland kann nur dann wirksam sein, wenn die Europäer mitmachen und wenn die Bundeskanzlerin das auch so sieht. Doch mit Angela Merkels Bundesregierung liegt Obama wegen der NSA-Schnüffelaffäre und der US-Doppelagenten in Deutschland über Kreuz. Immerhin scheinen sich Kanzlerin und US-Präsident jetzt ein wenig anzunähern.

Vor einem Militäreinsatz im Irak scheut er zurück

Irak Seit dem Vormarsch der radikalen Isis-Kämpfer im Irak befindet sich Barack Obama in einer seltsamen Position. Einerseits begegnet er dem Aufstand der Sunniten im Irak mit der Entsendung einiger hundert US-Militärberater. Andererseits weiß der US-Präsident, dass das kaum ausreichen wird, um den Konflikt zu entschärfen. Doch vor einem größeren Militäreinsatz scheut Obama zurück, weil seine außenpolitische Grundüberzeugung das nicht zulässt.

Zu einem weiteren Problem wird für den US-Präsidenten Iraks Nachbarland Iran. Einerseits soll Teheran zwar seine Ambition auf die Atombombe aufgeben, andererseits kann der Iran viel dazu beitragen, die Isis-Milizen zu schwächen. Der Feind seines Feindes wird für den US-Präsidenten unversehens zum Freund. Allerdings dürfte das wenig helfen, um den Bürgerkrieg in Iraks Nachbarland Syrien einzugrenzen. Dort stehen sich Washington und Teheran weiterhin unversöhnlich gegenüber.

Nahostkonflikt Ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas, um den sich am Mittwoch Obamas Außenminister John Kerry in Jerusalem bemühte, würde Obama mehr Gelegenheit geben, sich anderen Krisen zu widmen. Allerdings sieht es nicht danach aus, als würde Kerry schon bald einen Erfolg melden können. Obamas Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Einerseits betont er – wie jeder US-Präsident vor ihm auch – das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen den Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen. Andererseits kann Obama die Augen nicht verschließen vor den getöteten palästinensischen Zivilisten. Er hat allerdings, abgesehen von Appellen, wenig Einwirkungskraft auf die israelische Regierung.

Die Amerikaner wollen keine stärkere Einmischung

Fazit Ausgerechnet die renommierte US-Zeitung „New York Times“, die Obamas Kurs seit Jahren gewöhnlich wohlwollend begleitet, hat jetzt konstatiert, dass der Präsident angesichts der Vielzahl von Krisen und Konflikten dabei sei, ein „geopolitisches Schleudertrauma“ zu erleiden.

Das sehen auch viele Amerikaner so. In den Vereinigten Staaten wird Obamas außenpolitisches Agieren zunehmend kritisch beäugt. Zumindest in den Umfragen äußert regelmäßig mehr als die Hälfte der Befragten ihr Missfallen, will aber zugleich keine stärkere Einmischung der USA in Probleme am anderen Ende der Welt. Auch konservative Publizisten prügeln auf den US-Präsidenten ein. Mal wird es zum Problem, dass Obama am Wochenende in seiner Freizeit mal Golf spielt, wenn in Gaza die Bomben einschlagen. Mal heißt es, der US-Präsident habe es tatsächlich gewagt, einen Hamburger in der Öffentlichkeit zu essen, als ein ziviles Flugzeug über der Ukraine abgeschossen wurde. Obamas Berater haben derzeit viel zu tun, um die Absurdität solcher Vorwürfe festzustellen.

Obama zeigt in diesen Tagen angesichts der vielen Krisen mitunter etwas Nerven. Erst unlängst musste sein neuer Sprecher Josh Earnest versichern, dass der zweiwöchige Urlaub der Präsidentenfamilie im August in Martha‘s Vineyard fest gebucht sei. Änderungen des Plans seien jedoch denkbar, wenn die Weltläufte entsprechend seien.