Wie wurde Homer Simpson zum Idiot und warum dealen Mütter heute in Serien mit Gras? In der vierteiligen Arte-Dokumentation „Amerika im Wohnzimmer“ wird erzählt, wie sich Rollenbilder über die Jahre hinweg verändert haben.

Stuttgart - Das Fernsehen in den fünfziger Jahren gab mir ein heimeliges Gefühl“, sagt in dieser vierteiligen Dokumentation ausgerechnet der Regisseur und Autor David Lynch, der mit seiner abgründig-morbiden „Twin Peaks“-Serie in den neunziger Jahren der TV-Geschichte ganz neue Dimensionen eröffnet hat. Aber David Lynch fügt dann gleich hinzu, dass die alten US-Serien nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hatten. Der Titel „Father knows best“, bei uns eingedeutscht zu „Vater ist der Beste“, beinhaltet ja auch nur einen kleinen Anteil Ironie, tatsächlich führt die Serie eine Familie vor, in der ganz selbstverständlich ihr männliches Oberhaupt den Ton angibt, die Mutter ebenso selbstverständlich immer zu Hause ist, es auch nie zum ernsten Ehekrach kommt, sondern alles sauber und harmonisch zugeht. Was das US-Fernsehen damals als Vorbilder präsentierte, waren die alten Geschlechterrollen.

 

Wie sich diese Rollen im Lauf der Jahre – und parallel zu den Entwicklungen vor dem Bildschirm! – in den US-Serien ändern, zeigt Lloyd Kramer vor allem in „Der Herr im Haus“ und „Die unabhängige Frau“, den ersten beiden Folgen seiner schnellen und unterhaltsamen Dokumentation „Amerika im Wohnzimmer“. In diesem Streifzug durch die US-Fernsehgeschichte (die sich in Teilen ja mit unserer überschneidet), zerbröckelt schließlich das Denkmal des Familienvaters. Schon in den fünfziger und frühen sechziger Jahren stürmt die Frau in einer Sitcom wie „I love Lucy“ immer wieder an gegen das Patriarchat, wenn auch meist noch vergeblich. In den siebziger Jahren aber konfrontiert die populäre Serie „All in the Family“ (so etwas wie das Pendant zu Wolfgang Menges „Ein Herz und eine Seele“) das Familienoberhaupt Archie Bunker mit neuen Zeiten und Szenen und zeigt ihn als völlig überforderten Spießer.

Und die Geschichte einer Demontage wird in dieser mit vielen Ausschnitten und Interviews arbeitenden Doku fortgeführt: In der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ fühlt sich Vater Homer zwar noch als Herr im Haus, aber wohl nur, weil er ziemlich naiv ist, um nicht zu sagen: ein Idiot. In den „Sopranos“ erwischt es 1997 dann sogar einen Vertreter der vielleicht letzten konservativen Bastion, nämlich der Mafia. Tony Soprano kann seine Rolle nicht mehr ausfüllen, wie das vorgesehen ist, weder zu Hause noch bei der „Arbeit“. Er leidet so an Depressionen und Kontrollverlust, dass er sich sogar in den Sessel einer Psychotherapeutin (!) setzt. Don Draper dagegen, der Held der in den fünfziger und sechziger Jahren spielenden Werbeagentur-Serie „Mad Men“, scheint alles zu haben, was man sich nur wünschen kann. Aber er hält es einfach nicht aus bei seiner Frau, seinen Kindern, seinem Vorstadtheim, das alte Ideal aus „Vater ist der Beste“ ist für ihn nur noch ein Albtraum.

Wenn der Vater zum Dealer wird

Mit Serien wie der „Mary Tyler Moore Show“, in der die Heldin Single ist und berufstätig, oder „Roseanne“, in der sich die jüdische, proletarische und dicke Roseanne Barr durchsetzt, wird dann der Weg für die unabhängigen Frauen aus „Sex and the City“ vorbereitet, die ungeniert ihr freies Liebesleben vorführen, aber auch für die „Desperate Housewives“, die formell noch in den alten Rollen drinstecken, denen es aber nicht mehr gelingt, sie auszufüllen. Und so wie nun ein Vater in „Breaking Bad“ alle Grenzen überschreitet und zum Dealer wird, beginnt nun in „Weeds“ auch eine Mutter, mit Rauschgift zu handeln.

Wie weit es in den US-Serien, auch bedingt durch das offenere und innovativere Bezahlfernsehen, inzwischen mit den Außenseitern und mit den Helden gekommen ist, wie also Randfiguren ins Zentrum rückten oder aus dem integren Sheriff Matt Dillon in „Rauchende Colts“ der folternde Agent Jack Bauer in „24“ wurde, das erzählen eine Woche später die beiden letzten Dokuteile „Sonderlinge“ und „Die modernen Kreuzritter“.