Unfallpech oder amtliche Schlamperei? Darüber wird zurzeit beim Amtsgericht Vaihingen/Enz verhandelt. Einem Mitarbeiter der Straßenbaubehörde im Landratsamt wird vorgeworfen, durch Untätigkeit drei Motorradunfälle verschuldet zu haben.

Vaihingen/Enz - Das Verfahren, das am Mittwoch beim Amtsgericht in Vaihingen an der Enz begonnen hat, ist in mehrfacher Hinsicht ein Kuriosum. Einerseits kommt es zwar häufig vor, dass Behörden auf Schadenersatz verklagt werden, wenn etwas schief läuft. Es ist jedoch ein Novum, dass verantwortliche Mitarbeiter wegen amtlicher Versäumnisse persönlich per Strafbefehl belangt werden. Mindestens genau so selten geschieht es, dass ein Staatsanwalt mit einer Behörde so außerordentlich scharf ins Gericht geht.

 

Der stellvertretende Leiter des Fachbereichs Straßen im Landratsamt Ludwigsburg muss sich wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Wegen Untätigkeit soll er für drei Motorradunfälle auf der Kreisstraße zwischen Eberdingen und Hemmingen verantwortlich sein. Der Mann bestreitet den Vorwurf. Er sei gar nicht zuständig gewesen, sagte er . Den Strafbefehl über 1700 Euro wegen fahrlässiger Körperverletzung will er nicht akzeptieren. Auch eine gütliche Einigung gegen Zahlung von 800 Euro lehnt er ab.

Drei Motorradunfälle in Folge

Ausgangspunkt des Verfahrens sind drei Unfälle, die im Oktober 2009 binnen einer halben Stunde passiert sind. Drei Motorradfahrer waren nachmittags auf der schnurgeraden, aber offenbar extrem rutschigen Strecke nach rechts in den Graben gerutscht. Prellungen und ein Schaden von 8500 Euro waren die erste Folge. Die zweite war eine Strafanzeige eines Polizeibeamten gegen das Landratsamt.

Der Vorwurf: die Behörde habe von der Unfallgefahr gewusst. Bereits zwei Jahre zuvor hatte sich ein Motorradprofi von der Verkehrswacht Vaihingen dort gemeldet, um auf die Gefahr hinzuweisen. Aufgeraut wurde der Straßenbelag, der bei Nässe laut Zeugen die Qualität von Glatteis bekommt, aber erst nach der Unfallserie.

Der zuständige Staatsanwalt hatte große Mühe herauszufinden, wer im Landratsamt tatsächlich beschlossen hat, dass der Straßenbelag trotz Glättegefahr nicht ausgebessert wird. Den Nachweis, dass der angeklagte Mitarbeiter die Warnung der Verkehrswacht per E-Mail weitergeleitet hat, habe das Landratsamt erst spät erbracht. Zudem gebe es keine Akten, die belegten, wer für die Untätigkeit verantwortlich sei. So gebe die Behörde das Bild „eines ziemlichen Schlamperladens“ ab. Nach seinen Ermittlungen habe die Straßenmeisterei in Vaihingen die Strecke zwar kontrolliert, jedoch nicht bei Nässe.

„Damit disqualifiziert sich das Landratsamt“

Als der Angeklagte die Vermutung äußerte, dass die Strecke „vielleicht nicht so gefährlich war, wie es geschildert wurde“, platzte dem Staatsanwalt vollends der Kragen. „Diese Aussage disqualifiziert eigentlich das Landratsamt“, wetterte er. Mit solchen Argumenten sei die Behörde schon bei der zivilrechtlichen Abarbeitung des Falles gescheitert. Die geschädigten Motorradfahrer hatten sich vor dem Oberlandesgericht eine Entschädigung von jeweils 3000 Euro erstritten. Damit ist für den Staatsanwalt auch aus strafrechtlicher Sicht der Fall klar. Unklar sei lediglich, an wen er den Strafbefehl schicken müsse.

Der Angeklagte betonte wiederholt, dass er zwar Vizechef seines Fachbereichs sei. Allerdings dürfe er als nicht-technischer Beamter solche technischen Sanierungsfragen gar nicht entscheiden. Zudem liege sein Aufgabengebiet eher bei haushaltsrechtlichen Fragen. Deshalb sei er „etwas erstaunt, dass gerade ich dieser Straftat beschuldigt werde“.

Das Verfahren, das am 17. April mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt wird, hat schon im Vorfeld Wellen geschlagen. Das Landratsamt Ludwigsburg begründete damit unter anderem seine vorsichtige Haltung bei der Frage von Kunst auf Kreisverkehrsinseln. Bevor weiteren Mitarbeitern nach möglichen Unfällen ein Strafbefehl drohe, müssten die Bauwerke eben, nach einem Erlass des Landes, entfernt werden.

Jüngst kam gar die Diskussion auf, ob der Kreis auf eigene Kosten Landesstraßen flicken solle – aus Gründen der persönlichen Haftung. Die Landratsämter der umliegenden Kreise beobachten den Prozess ebenfalls gespannt – der Fall hat auch für sie Präzedenzcharakter.