Der irische Sänger Van Morrison gilt nicht gerade als geselliger Bursche. Aber den Jazz-Open zuliebe kommt er nach Stuttgart und begeistert bei seinem Konzert vor dem Neuen Schloss das Publikum.

Stuttgart - Seriösen irischen Tageszeitungen war vor einigen Tagen allein der Umstand schon Berichte wert, dass sich Van Morrison in Dublin vor einem Hotel habe sehen lassen. Man kann daran recht putzig ermessen, dass sich dieser Musiker ansonsten gerne rar macht. Mehr als eine Handvoll Konzerte pro Jahr liegt nicht drin, Fotos des 69-Jährigen ohne Hut und Sonnenbrille haben ähnlichen Seltenheitswert wie eine blaue Mauritius, und als großer Lautsprecher ist der Mann aus Belfast auch nicht gerade bekannt.

 

Allein deshalb darf sich Stuttgart glücklich schätzen, einen seiner wenigen Auftritte in diesem Jahr miterlebt zu haben. Mindestens ebenso beglückend sind indes auch die Hintergründe: Van Morrison ist natürlich zweifelsohne das Glanzlicht der diesjährigen Auflage der Jazz-Open. Umgekehrt zeigt das aber auch, was für ein Standing international sich das Festival mittlerweile bei den Künstlern und ihren Agenten erworben hat und dass viele Künstler für dieses gerne in Stuttgart Station machen.

Das Konzertareal auf dem Schlossplatz ist am Donnerstagabend mit fünftausend Besuchern bis zum Anschlag gefüllt, das Wetter bombig, und vielleicht mag den Bluesmusiker auch dies beflügelt haben. Van Morrison kann nämlich auch ein gehöriger Griesgram sein, der zu Konzerten mit ellenlangen Verspätungen auftaucht oder sie umgekehrt bisweilen auch mal lustlos nach einer Dreiviertelstunde beendet.

Als erstes tritt Tochter Shana ans Mikrofon

Auf der Bühne in Stuttgart gibt er sich immerhin einem veritablen Weltrekordversuch in Sachen Maulfaulheit hin. Kein Wort zur Begrüßung, als er die Bühne auf dem Ehrenhof des Schlosses mit – Ehrensache – Hut und Sonnenbrille betritt. Keines zwischendrin. Und keines zum unvermittelten Abschied, als Van Morrison umstandslos abtritt, seine Musiker noch ein Ründchen jammen lässt, ehe der Auftritt dann endgültig zugabenlos endet. Letzteres macht nichts, über das dämliche Ritual sind der Worte schon genug verloren worden. Das Publikum zuvor jedoch so schmucklos allein zu lassen, ist nicht gerade die feine irische Art.

Aber womöglich ist es auch nur folgerichtig, denn der Verzicht auf Zierrat ist nun mal eines seiner Markenzeichen. So gesehen gerät der Auftakt fast schon verblüffend. Zunächst tritt Van Morrisons Tochter Shana auf die Bühne und an das Mikrofon. Danach dürfen seine sechs Begleitmusiker, gereifte Herren mit gediegenem Musiziergestus, eine sehr jazzige Auftaktjamsession absolvieren, ehe sich der Maestro gänzlich unprätentiös in ihre Mitte mogelt. Van Morrison agiert zum Auftakt am Altsaxofon. Später zieht er natürlich die Mundharmonika aus der Jacketttasche, geboten wird fortan Blues, Blues und nochmals Blues.

„God must love me“ heißt ihre Eigenkomposition, die zum Auftakt Shana Morrison singt, Enkelin einer Zeugin Jehovas und Tochter jenes Mannes, der dem Scientology-Gründer Ron Hubbard schon ein ganzes Album gewidmet hat. Man könnte also mutmaßen, dass der Abend zum religiösen Weihefest wird, und da ist ja auch was dran. Van Morrison wird auf dem Schlossplatz nicht für einen abwechslungsreichen und unermüdlichen Innovationsdrang bejubelt, sondern als Hohepriester des Bewährten und zu Bewahrenden. Als Ikone eines Genres, die – Beatles oder Stones wirken im Vergleich fast wie Nesthäkchen – seit dem Ende der fünfziger Jahre auf der Bühne steht, auf zwei Grammys und rund vierzig Alben zurückblicken kann. Aus denen er sodann einen Querschnitt serviert, der bestens dokumentiert, warum dem so ist. Beispielhaft sei „Keep it simple“ genannt, das Lied aus dem gleichnamigen Album von 2008,. Es bringt auf dem Schlossplatz emblematisch zum Ausdruck : andere hecheln Moden hinterher, verkünsteln sich, lassen sich vom Musikbusiness zu Abziehfolien ihrer selbst degradieren – den Knaben dort vor den Fünftausend juckt derlei aber gar nicht.

Riesenjubel des Publikums

Angesichts solcher Lebensleistung ist trotz eines doch sehr stoischen Konzertverlaufs doch mindestens Ehrfurcht geboten. Man darf sie Van Morison auch erbieten, die weihevolle Anmutung dieser Freiluftmesse auf dem Schlossplatz genießen und ihm bei dieser Retrospektive attestieren, dass er ein guter Junge ist. Riesenjubel des Publikums, berechtigt.

P.S.: Anschließend nach dem Spaziergang über den köstlich nach Frittierfett und Panadenmischung duftenden Hamburger „Fisch“-Markt auf dem Karlsplatz im Bix angekommen. Wo ebenso loyal wie ausufernd der sportlich in Hawaiihemd und Jogginghose gewandete Brian Auger in niedlichem Deutsch zunächst seine Band Oblivion Express vorstellt, ehe er mit ihr dann sportlich in seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag hinein feiert. So schnell, lehrt dieser Abend allen, die seit einem halben Säkulum den Untergang des Abendlandes herbeiunken wollen, ist der Rock’n’Roll nicht totzukriegen.