Sie bringen Geld, sie bringen Touristen – und eines Tages womöglich Tod und Zerstörung. Das Verhältnis zwischen Venedig und seinen Kreuzfahrtschiffen ist angespannt. Für viele Bewohner sind sie ein Albtraum.

Venedig - „Monster raus aus der Lagune!“ Unter diesem Slogan haben sie vor einer Woche zum ersten Mal richtig protestiert: venezianische Bürgerkomitees und sonstige Italiener, Franzosen und sogar einige „Stuttgart 21“-Gegner aus Deutschland. „Wir können nicht mehr!“ Unter diesem Motto ist der Bürgermeister Giorgio Orsoni zu einem Krisengespräch mit der Regierung nach Rom gereist. Auf einmal schlagen Wellen hoch in dem, was engagierte Denkmalschützer bisher als das „venezianische Meer der Gleichgültigkeit“ beklagt haben: Die „Serenissima“, die „Erlauchteste“ unter allen Städten, diskutiert jetzt zumindest darüber, ob und wie lange sie sich eine immer stärker sprudelnde Quelle ihres Wohlstands noch leisten kann.

 

Es geht um den rapide zunehmenden Kreuzfahrttourismus (siehe Kasten rechts). „Unsere einzigartige Stadt ist Ziel grenzenloser Nachfrage“, sagt der Hafenchef Paolo Costa, „und sie wird sich, wie immer schon, an ihre Schiffe anpassen.“

So ein Schiff ist 60 Meter hoch – das Doppelte des Dogenpalasts

„Das ist Terror“, sagt der Fotograf Berengo Gardin, der festgehalten hat, wie sich die „liegenden Wolkenkratzer“, diese „schwimmenden Städte“ durch Venedig schieben: mit 300 Metern sind sie zweimal so lang wie der Markusplatz. 60 Meter ragen sie in die Höhe, das Doppelte des Dogenpalasts. Kunsthistoriker weisen darauf hin, dass solche Venedigbesucher ein völlig falsches Bild von der historisch wertvollen Architektur bekommen: Die sei optisch darauf angelegt, vom Wasser aus, von unten, genossen zu werden. Und Gardin sagt: „Von den Passagierdecks aus betrachtet sinkt Venedig zur Miniatur, zum Modell, zum Spielzeug herab. Die haben einfach jedes Maß verloren. Die zerstören Venedig schon, indem sie durchfahren.“

Der Wellenschlag gegen die Holzpfähle, auf denen die Stadt steht, und die Abgase der schweren Schiffsmotoren sorgen schon seit Längerem für Stirnrunzeln. Aber seit der Kreuzfahrtriese Costa Concordia 2012 vor der Insel Giglio gestrandet ist und vor allem seit sechs Wochen, seit das Containerschiff Jolly Nero – allein beim banalen, langsamen Wenden im Hafen von Genua – den 54 Meter hohen Kontrollturm zum Einsturz brachte und sechs Menschen in den Tod riss, ist die Angst vor einer ähnlichen Katastrophe im engen Venedig konkret. Der Hafenchef versucht zu beruhigen: „Es ist schwer, sich eine risikoärmere Seefahrt als die in der Lagune vorzustellen. Wir liegen nahe an der absoluten Sicherheit.“

Aber was ist, wenn eine neue Costa Concordia dann doch den Dogenpalast unter sich begräbt? Umwelt- und Denkmalschützer halten das nach ihren eigenen Berechnungen nicht für ausgeschlossen. Sandro Trevisanato hingegen, der Chef der privatisierten Passagierterminals, sagt: „Die großen Schiffe, die zwischen Markusplatz und Giudecca-Insel durchfahren, tun das in eigens vertieften Fahrrinnen. Das ist, als würden sie auf Schienen laufen. Die können da gar nicht raus. Sie blieben sofort im sandig-schlammigen Grund des Kanals stecken. Der Sicherheitsabstand zu den Kunstdenkmälern ist beträchtlich.“

Die Schiffe bringen 6000 Arbeitsplätze

Und überhaupt, ergänzt Massimo Bernardo von der privaten venezianischen Kreuzfahrtlobby, „bis 1977, so lange sämtliche Frachtschiffe auf dem Weg zum Chemie- und Erdölhafen Marghera am Markusplatz vorbeigefahren sind, war das Risiko viel größer: gefährliche Ladungen, 12 000 Schiffe pro Jahr. Heute, mit den Passagierschiffen allein, ist der Verkehr marginal geworden. Außerdem schafft er Arbeitsplätze für 6000 Personen.“ Das ist das Hauptargument derer, die die Kreuzfahrtschiffe wollen: die Einnahmen.

Den Schiffen ihren unmittelbaren Kontakt zu Markusplatz und Dogenpalast zu verwehren, kommt für die Hafenbetreiber nicht in Frage. Ein entsprechendes Dekret, von Rom kurz nach dem Unglück der Costa Concordia verabschiedet, harrt seit 15 Monaten der Umsetzung. Nur Schiffe bis 40 000 Tonnen dürften die Strecke demnach befahren; moderne Kreuzfahrtriesen sind dreimal so groß und noch größer. Aber es gibt die vom Dekret vorgesehene Alternativroute noch nicht: sie kostet, sie dauert, sie ist noch nicht einmal ausdiskutiert.

Der Bürgermeister möchte die „Traumschiffe“ – auf die auch er nicht verzichten will – am liebsten in den nicht mehr ausgelasteten Industriehafen Marghera schicken. „Völlig unmöglich!“, entgegnen die Hafenbetreiber: nicht ansehnlich genug, dauernd Konflikt mit Frachtschiffen, Einbahn-Verkehr, Staus . . . Sie schlagen vor, in der Lagune eine neue Fahrrinne auszubaggern und die weißen Riesen auf stadtabgewandter Seite zu dem Passagierhafen Marittima zu lotsen, von dem aus die Touristen auf dem Landweg ins Stadtzentrum können, und der gerade eben mit vielen Millionen Euro aufgerüstet worden ist. Dem entgegnen Universitätsexperten: Jeder eigens vertiefte Kanal sorge dafür, dass mehr Wasser aus dem offenen Meer in die Lagune dringe; an den zunehmenden Überflutungen Venedigs sei menschliches Wühlen dieser Art zumindest teilweise schuld.

Venedig könnte zum Rotterdam des Mittelmeeres werden

Wahrscheinlich liegt im offenen Meer ohnehin die Zukunft. Von 2016 an soll das Hochwasserschutzprojekt Mose in Betrieb gehen, für das gerade das erste hochklappbare Schleusentor auf dem Meeresboden installiert wurde. Das heißt: bei „acqua alta“ bleiben die Schiffe dann sowieso aus der Lagune ausgesperrt. Auch möchte Paolo Costa den Güterumschlag in „seinem“ Hafen verzehnfachen. Damit würde Venedig ein Rotterdam des Mittelmeers werden.

Verwirklichen ließe sich das nur mit dem bereits diskutierten Projekt eines Offshore-Hafens, 14 Kilometer von der Stadt entfernt in der Adria. Da könnten dann auch die Kreuzfahrtriesen anlegen. Da müssen sie es sogar, sagt Costa, sobald sie eine Länge von mehr als 335 Metern erreichen – was der venezianische Hafenchef nicht mehr ausschließt angesichts des Gigantismus, der die Branche befallen habe. Dass diese Entwicklung „in wachsendem, unharmonischem Missverhältnis zum historisch-architektonischen Stadtkern von Venedig“ steht, das sieht auch der Chef der Hafenbehörde durchaus. Aber noch immer glänzt das Kielwasser golden.

Die Riesen und ihre Passagiere bringen Millionen

Vor 15 Jahren haben nur 227 Schiffe mit 335 000 Passagieren vor Markusplatz und Dogenpalast angelegt. 2012 verzeichnete der Hafen schon dreimal so viele Landungen (661) und fast sechsmal so viele Kreuzfahrer (1,78 Millionen). Allein am Wochenende vom 15. Juni drängten sich sechs Schiffe an den Marittima-Kais, das macht 16 000 Touristen – zu den gut 60 000, die ohnehin jeden Tag die Lagunenstadt überfluten.

150 Millionen Euro lassen die Passagiere jedes Jahr bei ihren Landgängen in der Stadt. Bei etwa 450 Millionen Euro soll der Gesamtumsatz des „Systems Venedig“ liegen. „Allein 60 Millionen Flaschen Mineralwasser!“, ruft das Kreuzfahrtkomitee. Und der Hafenchef Costa ergänzt: „Solche Schiffe tanken bei uns Treibstoff für die ganze Reise, eine Füllung allein bringt 500 000 Euro.“