Bei Doping geht es um mehr, als nur eine verbotene, leistungssteigernde Pille oder Spritze: „Radrennfahrer, Leichtathleten, Fußballer – Die Seuche Doping ist nicht zu stoppen“, sagt Tobias Schall, stellvertretender Ressortleiter Sport, bei der Veranstaltung „StZ/VHS direkt“.

Stuttgart - Bei Doping geht es um mehr, als nur eine verbotene, leistungssteigernde Pille oder Spritze: „Radrennfahrer, Leichtathleten, Fußballer – Die Seuche Doping ist nicht zu stoppen“, unter diesem Titel war Tobias Schall, stellvertretender Ressortleiter Sport, zu Gast in der Reihe „StZ/VHS direkt“ im Treffpunkt Rotebühlplatz.

 

Schall ist Experte bei dem Thema, über das er mit den Besuchern im Robert-Bosch-Saal lebhaft diskutierte. „Wir sprechen hier von einem Milliarden Dollar Business“, betonte Schall. Er untermauerte das auch mit Zahlen: „2014 betrug das Sport-Sponsoring weltweit 45 Milliarden Dollar.“ Der Weltfußballverband FIFA setzte in den Jahres 2013 und 2014 über 1,3 beziehungsweise mehr als 2 Milliarden Dollar um. „Es ist ein Systemproblem“, so Schall. Die Verbände seien oft gutsherrenartig geführt. Ob Handball, Fußball, Leichtathletik, Schwimmen oder eine andere Sportart, sie verdienten nur mit ihrer wichtigsten Ressource: funktionierenden Athleten. Diese müssten mittlerweile in einer Flut von weltweiten Veranstaltungen antreten. Bei Großereignissen wie den Olympischen Spielen kämen Sportler wie der Schwimmer Michael Phelps oder der Läufer Usain Bolt nicht mehr aus dem Becken beziehungsweise von der Bahn. Schafft das ein Körper ohne Hilfen? „Es führt zu Überlastungen. Aber wer verdienen will, muss da sein: Friss oder stirb!“

Doch wo fängt Doping an?

Schall erinnerte an den Tod der deutschen Siebenkämpferin Birgit Dressel, die 1987 an einem Multiorganversagen starb. Laut der Obduktion wurden bei ihr Spuren von 101 Medikamenten gefunden, auch drei Anabolika-Präparate waren darunter. Im Prozess gegen den Radfahrer Stefan Schumacher zeigte sich: Arzneimittel waren für ihn wie ein Grundnahrungsmittel. „Manche Sportler fangen morgens mit hochdosierten Schmerzmitteln wie Ibuprofen 800 an, die man keinesfalls lange nehmen sollte“, erklärt Tobias Schall.

Doch wo fängt Doping überhaupt an? Zählen erlaubte Schmerzmittel dazu? „Beim Boxen geht es gar nicht ohne“, so Schall. Die Fälle zeigten, dass Doping weder eine Sache von Russland oder der ehemaligen DDR sei, sondern auch der Bundesrepublik – aber auch der USA und vieler anderer Länder. An Doping – ein Riesengeschäft – seien viele beteiligt, ohne Ärzte gehe es nicht. „Was macht ein Trainer, wenn ein Politiker mehr Medaillen sehen will?“ Die Folgen seien vor allem für die Sportler bitter: Sie würden gesperrt. Der Arzt praktiziere oft weiter. Nach der Weltdopingagentur WADA seien etwa 1,1 Prozent aller Hochleistungssportler gedopt, anonyme Befragungen hätten ergeben, dass es unter deutschen Sportlern 20 bis 30 Prozent seien. „Das scheint auch weltweit realistischer“, ist die Einschätzung des Experten.

Ein Problem seien Beweise, also Tests. „Gefunden werden nur die, die dumm dopen. Fälle, wie jetzt Russland oder Tour de France-Sieger Lance Armstrong zeigen: Es braucht Whistleblower und Kronzeugen.“ Doch wer hat Interesse an Aufklärung? „Es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen, wenn das IOC Russland nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen hätte lassen. Aber es drückte sich um die Verantwortung“, kritisiert Schall.

Sauberer Sport sei gerade in Breite wichtig

Kein Verband wolle ein Dopingproblem. Der spanische Arzt Eufemanio Fuentes behauptete, er sei mit dem Tod bedroht worden, wenn er die Namen seiner ominösen Dopingliste mit bekannten Athleten vieler Sportarten preisgeben würde. Meist seien die Doper den Testern weit voraus, in Labors entstünden Designersteroide, berichtete Schall.

Dennoch, betonte er, könne nicht die Logik sein, dass nur ein langsamer Sprinter ein sauberer Sprinter sei. „Sportler wie Phelps oder Bolt sind Jahrhundertathleten. Wir müssen einen sinnvollen Umgang mit dem Problem Doping finden.“ Denn sauberer Sport – gerade in der Breite – sei wichtig: Er begeistere, könne Kindern Werte vermitteln. „Wir müssen uns überlegen, ob wir Sport eben als solches haben wollen – oder nur noch als Show.“ Monika Kurz, Fachbereichsleiterin Politik der Volkshochschule, fasste anschließend treffend zusammen, dass Doping letztlich ein gesellschaftliches Problem sei. „Schneller, höher, weiter, schöner zieht sich vom Kindergarten an durch alle Lebensbereiche.“