Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Europäischen Zentralbank– und über Möglichkeiten des Europäischen Gerichtshofs.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Politisch trennen Gregor Gysi und Peter Gauweiler Welten. Beim Bundesverfassungsgericht sitzen die Lichtgestalt der Linkspartei und der CSU-Politiker so gut wie nebeneinander. Und sie vertreten ein gemeinsames Ziel: das Bundesverfassungsgericht möge doch bitte den Beschluss der Europäischen Zentralbank geißeln, die 2012 angekündigt hatte Anleihen von Pleitestaaten auf dem Sekundärmarkt in unbegrenzter Höhe zu kaufen. „Whatever it takes“, so EZB-Präsident Mario Draghi damals , werde seine Institution unternehmen um den Euro zu retten. Was immer es auch koste. Nicht nur für Gysi und Gauweiler ist das zu viel, mehr als 11 000 Bürger haben sich der Klage inzwischen angeschlossen.

 

Das so genannte OMT-Programm (Outright Monetary Transaction) der Zentralbank ist bisher noch nicht zur Anwendung gelangt, Rechtsgeschichte hat es gleichwohl längst schon geschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Angelegenheit im Juni 2013 verhandelt. Mehrheitlich ist es dabei zur Auffassung gelangt, dass gewichtige Gründe dafür sprechen, dass der EZB-Beschluss über das Mandat der Europäischen Zentralbank herausgeht. Es kam zu einer Premiere: Zum ersten mal haben die Karlsruher Richter dem EuGH einen Fall vorgelegt. Dieser möge bitte die Vereinbarkeit mit dem Europarecht prüfen. Das Verfassungsgericht hat dabei deutlich gemacht, dass sie diese Vereinbarkeit nicht für gegeben halten. Die Kollegen in Luxemburg haben das allerdings anders gesehen. Nun liegen die Akten erneut in Karlsruhe.

Es war von einem „Endspiel“ zwischen Verfassungsgericht und Europarichtern die Rede

Das ist die Vorgeschichte, die am Dienstag um ein weiteres Kapitel erweitert wurde. Fast schon flehentlich hat sich Gregor Gysi dabei an die Richter des Zweiten Senates gewandt. „Ich weiß, dass es nicht leicht ist dem EuGH zu widersprechen“, so Gysi. Gleichwohl sei „die Interpretation des Grundgesetzes Aufgabe der Karlsruher, nicht der Luxemburger Richter“. Da Gysi (und nicht nur er) die Haushaltshoheit des Bundestages für gefährdet hält, sei Karlsruhe die einzig richtige Instanz.

Gleich im Ergebnis, völlig anders im Ton ließ Peter Gauweiler seinen Prozessvertreter, den Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, vortragen. Da war von einem „Endspiel“ zwischen Verfassungsgericht und Europarichtern die Rede. Letztere hätten in „dreister Weise“ in einem Bereich Recht gesprochen, in dem sie gar nicht zuständig seien. Die juristische Begründung des EuGH nennt Murswiek „völlig unhaltbar, geradezu willkürlich“. Kurz, knapp und prägnant: Der EuGH verlange von Karlsruhe „Unterwerfung“.

Juristisch umstritten war schon immer, ob die EZB dabei den Pfad der ihr erlaubten Geldpolitik verlassen hat

Zum ohnehin vorhandenen Streit der Wirtschaftswissenschaftler ist nun der Streit der Juristen auf einer zweiten Ebene hinzugekommen. Ökonomisch ist es nach wie vor umstritten, in wiefern das OMT-Programm geeignet ist, die erhofften Ziele zu erreichen, nicht nur Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat dazu wiederholt seine Bedenken geäußert. Juristisch umstritten war schon immer, ob die EZB dabei den Pfad der ihr erlaubten Geldpolitik verlassen hat und sich mit (ihr verbotener) Wirtschaftspolitik beschäftigt. Nun ist zusätzlich zu prüfen, ob der EuGH mit seiner Entscheidung seine Kompetenz überschritten haben könnte. Dabei gilt die Faustregel: Wer gegen das OMT-Programm zu Felde gezogen ist, der sieht diese Kompetenzüberschreitung als gegeben.

Der Tübinger Rechtsprofessor Martin Nettesheim, der die offizielle Rechtsauffassung des Bundestages vertritt, ist dementsprechend ganz anderer Ansicht und spricht von einem „umfassend und sorgfältig begründeten“ Urteil des Europäischen Gerichtshofes, welches „klare Leitplanken der Kontrolle“ gesetzt habe. Sein Leipziger Professorenkollege Christoph Degenhart, der die Beschwerdeführer vertritt, sieht die EZB durch das gleiche Urteil „in einen kontrollfreien Raum entlassen“.

Die Frage, wer was zu kontrollieren hat, ist nun auch für das Verfassungsgericht von entscheidender Bedeutung. Der EuGH ist für Karlsruhe zwar kein übergeordnetes Gericht entsprechend dem Instanzenzug, es spricht schlicht in einer anderen Sphäre Recht. Nun überschneiden sich aber die Sphären. Karlsruhe hat sich immer die Möglichkeit offen gehalten, die europäischen Kollegen zu überstimmen, wenn ersichtlich ist, dass Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sind. Ob das die Richter so sehen wird in ein paar Monaten klar – dann wird ein Urteil erwartet.