Der Stuttgarter Innenminister Reinhold Gall warnt vor einer Zentralisierung des Verfassungsschutzes, räumt aber Schwächen bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern ein.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Herr Gall, wozu brauchen wir eigentlich noch einen Verfassungsschutz?
An den grundsätzlichen Aufgaben und der Notwendigkeit des Verfassungsschutzes hat sich ja nichts verändert. Der Verfassungsschutz muss dafür Sorge tragen, dass die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gewahrt bleibt. Er hilft uns, rechtzeitig zu reagieren, wenn sich Gegner dieser Ordnung formieren.

Die unselige Neonazi-Mordserie hat bei manchen Bürgern den Eindruck erweckt, diese Sicherheitsbehörde sei sowohl ineffektiv als auch überflüssig. Wie denken Sie darüber?
Auf jeden Fall haben die Pannen und Versäumnisse, die vorgekommen sind, Vertrauen zerstört. Da müssen wir gegensteuern. Dennoch steht die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes für mich ungeachtet dieser Schwächen außer Frage.

Wo sehen Sie Reformbedarf?
Zweifelsohne müssen wir die Zusammenarbeit der Landesämter untereinander und mit dem Bundesverfassungsschutz verbessern. Da sind aber schon entsprechende Schritte eingeleitet: das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und die Neonazidatei wurden installiert. Hier in Baden-Württemberg haben wir nun klarer definiert, wie die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz funktionieren muss. Da gibt es weiterhin Verbesserungsbedarf. Wir werden die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses und die Vorschläge der Bund-Länder-Kommission mit berücksichtigen.

Brauchen wir unbedingt ein Bundesamt und obendrein noch 16 Landesämter für Verfassungsschutz?
Lassen wir einmal dahingestellt, ob wir tatsächlich 16 Landesämter brauchen. Doch für mich steht außer Zweifel, dass auch beim Verfassungsschutz die föderale Struktur sinnvoll ist. Es gibt doch immer wieder unterschiedliche Entwicklungen in den Ländern, sei es beim Rechtsextremismus oder etwa bei Scientology. Die föderale Struktur hat ihre Vorteile, sofern nicht jeder separat vor sich hinwurstelt.

Wie ließe sich die Kommunikation zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz noch verbessern?
Noch wissen wir nicht in vollem Umfang, was in der Vergangenheit nicht oder nur unzureichend funktioniert hat. Klar ist aber, dass diese Kommunikation keine Einbahnstraße sein darf. Es dürfen auch nicht einfach Akten hin und her geschickt werden. Informationen, die auch jenseits der eigenen Landesgrenze interessant sein könnten, sollten möglichst von Angesicht zu Angesicht ausgetauscht und gemeinsam erörtert werden.

Ist der Verfassungsschutz denn unbedingt auf diese dubiosen V-Leute angewiesen?
Warum dubios? Das sind nachrichtendienstliche Quellen. Wir sind gut beraten, darauf nicht zu verzichten. Es gab immer wieder Fälle, wo wir ausschließlich auf solche Informanten angewiesen waren. Der Sauerland-Gruppe wären wir zum Beispiel ohne V-Leute nicht auf die Schliche gekommen.

Bedürfte es striktere Vorschriften, die den Umgang mit solchen V-Leuten regeln?
Ich halte es für dringend erforderlich, dass es innerhalb Deutschlands gleichlautende klare Regeln gibt, wer unter welchen Umständen angeworben werden darf, wie solche Dienste honoriert werden und so weiter. Es kann nicht sein, dass solche Dinge in jedem Land anders gehandhabt werden.

Sie selbst hatten angekündigt, die Kontrollrechte des Landtags gegenüber dem Verfassungsschutz verbessern zu wollen. Was läuft in Stuttgart schlechter als in Berlin?
Ich will damit nicht behaupten, dass es hier schlechter läuft. Allerdings sind die Kontrollrechte des Parlaments bisher nicht so umfangreich wie in anderen Ländern und im Bund. Da müssen gleiche Bedingungen herrschen.