Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen könnte den Hype um den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Martin Schulz vollends beenden. Für die CDU wäre eine Triumph Doping für den Bundestagswahlkampf, meint der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Ein Vorbild für den Rest der Republik ist das Bundesland, in dem die meisten Menschen wohnen, gerade nicht. Die drei Buchstaben NRW stehen für: hohe Schuldenlast, viele Arbeitslose, wachsende Armut, marode Straßen, lange Staus. Nordrhein-Westfalen taugt nicht als Abziehbild für Deutschland. Das gilt auch für die politischen Verhältnisse. Und dennoch heißt es jetzt wieder, dort finde eine „kleine Bundestagswahl“ statt, die „Generalprobe“ für den Herbst, wenn sich entscheidet, wer Deutschland künftig regiert. Daran ist wenig wahr und vieles falsch.

 

Kleine Bundestagswahl? Daran ist wenig wahr und vieles falsch

Kleine Bundestagswahl? 13 Millionen Menschen sind am Sonntag aufgerufen, ihre Stimme abzugeben – ein Fünftel des deutschen Wahlvolks. Es ist der letzte Stimmungstest, 133 Tage vor der Bundestagswahl. Wahlen an Rhein und Ruhr gelten zwar als Wendemarken für die Politik im Bund, dafür gibt es in der Geschichte aber nur zwei Beispiele: 1966 formierte sich dort die erste sozialliberale Koalition. Heinz Kühn war seinerzeit Wegbereiter für den Kanzler Willy Brandt. Und 2005 war die Pleite von Rot-Grün in NRW der Anfang vom Ende der Regierung Schröder.

Solche epochalen Impulse sind an diesem Sonntag nicht zu erwarten. „Landtagswahlen sind Landtagswahlen, und Bundestagswahlen sind Bundestagswahlen“, sagt Angela Merkel. Da hat sie im Grundsatz recht. Vorwahlumfragen zeigen, dass die Bürger sehr wohl zu differenzieren wissen. Martin Schulz, der Merkels Ewig-Kanzlerschaft gerne beenden würde, wird es nicht ganz so entspannt sehen. Nachdem Sigmar Gabriel diesen Kanzlerkandidaten wie ein Kaninchen aus dem Zylinder gezaubert hatte, war die eigene Partei so euphorisiert, dass Schulz hoffen konnte, auf einer Welle des Erfolgs Richtung Macht zu surfen – getragen von drei Triumphen bei den diesjährigen Landtagswahlen. Jetzt ist die Welle zweimal schon über ihn hinweggerauscht. Wenn die SPD auch in NRW untergeht, werden seine Kanzlerträume fortgespült wie Sandburgen bei Flut.

Die Entzauberung des sozialdemokratischen Heilsbringers geht ihrem Ende entgegen

Die Entzauberung des vermeintlichen Heilsbringers der Genossen hat drei Gründe: seine Absenz auf dem Parkett der Macht, die riskante Welt und Merkels Renaissance. Während Schulz in den Niederungen des sozialdemokratischen Milieus missioniert, reist die Kanzlerin wie die einzig verbliebene Krisenmanagerin durch die Welt, trifft Trump und Putin, die saudischen Scheichs und den Nato-Generalsekretär. Die CDU-Chefin hat sich nicht neu erfunden, wie manche in ihrer Partei erhofft hatten. Aber die zerstrittene Union hält wieder zusammen. Selbst die unbotmäßigen Zwischenrufe aus Bayern sind verstummt. Angesichts eines US-Präsidenten, dessen Amtshandlungen an Watergate erinnern, und eines französischen Wahlsiegers, der sich bei uns zwar größter Sympathie erfreut, mangels parlamentarischer Basis aber wie ein Napoleon ohne Unterleib daherkommt, lernen die Bundesbürger die gepflegte Langeweile der Souveränität Merkels offenbar wieder zu schätzen.

Es ist vieles anders in NRW: die Regierungsbilanz mieser, die FDP stärker, die AfD zerstrittener als irgendwo sonst. Wenn Hannelore Kraft abgewählt würde, dann wäre nur sie und nicht Schulz daran schuld. Für ihn wäre das gleichwohl wie ein Burn-out, bevor der Wahlkampfstress überhaupt beginnt. Und Merkel könnte sich fühlen wie Bayern-Trainer Ancelotti, wenn er mit seinem Club alle Vorrundenspiele der Champions League gewonnen hätte. Erfolge bei drei Landtagswahlen und die Macht im bevölkerungsreichsten Bundesland zurückzuerobern – für die CDU wäre das Doping im Wahlkampf. Doping allein reicht aber nicht. Vor vier Jahren war alles umgekehrt: Merkels Partei verlor zum Auftakt des Wahljahres ihre Macht in Niedersachsen und schaffte später fast eine absolute Mehrheit im Bundestag. Politik funktioniert eben nicht wie das kleine Einmaleins.