Winken, Schlagen, Hüpfen – Schimpansen wissen, wie sie sich ihren Artgenossen verständlich machen. Verhaltensforscher haben die Bedeutung zentraler Gesten entschlüsselt und in einem ersten Schimpansisch-Lexikon zusammengestellt.

Stuttgart - In fremden Ländern einfach mal spontan mit den Händen reden? Das kann auch nach hinten losgehen. Denn was der eine vielleicht nur als beschwichtigende Geste gemeint hat, kommt anderenorts mitunter als grobe Beleidigung an. Solche Missverständnisse zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturkreise sind gar nicht so selten. Wie soll man da erst die Körpersprache eines Gegenübers interpretieren, das nicht einmal zur eigenen Art gehört? Falls es sich um einen Schimpansen handelt, ist das nun zumindest ein bisschen leichter geworden. Denn nach akribischen Beobachtungen haben Catherine Hobaiter und Richard Byrne von der University of St. Andrews in Schottland das erste Lexikon der Schimpansen-Gebärden veröffentlicht.

 

Schon länger wissen Verhaltensforscher, dass alle Menschenaffen mit Gesten kommunizieren. Die Tiere richten ihre Gebärden oft gezielt an einen bestimmten Artgenossen und achten darauf, ob dieser auch hinschaut. Wenn der Angesprochene wie gewünscht reagiert, hören sie auf zu gestikulieren. Wenn nicht, bleiben sie am Ball und versuchen, die Nachricht auf anderem Weg an den Artgenossen zu bringen. Eine so zielgerichtete und flexible Kommunikation haben Wissenschaftler bisher nur bei wenigen Arten nachgewiesen. Hat das Gestikulieren der Menschenaffen also vielleicht gemeinsame Wurzeln mit der menschlichen Sprache? Um diese spannende Frage zu klären, müssen Verhaltensforscher immer tiefer in die Geheimnisse der Affenkommunikation eindringen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich, was die Tiere mit den Gesten sagen wollen. Dazu aber gab es bis vor Kurzem keine systematischen Untersuchungen. „Wir wissen seit mehr als 30 Jahren, dass Schimpansen auf diese Weise kommunizieren“, sagt Richard Byrne. „Komischerweise hat aber niemand versucht, diese naheliegende Frage zu beantworten.“

Bonobos flirten mit eindeutigen Gesten

Dabei scheint es in einigen Fällen gar nicht besonders schwierig zu sein, den Affencode zu knacken. Denn so manche Gebärde erinnert so stark an ihr menschliches Pendant, dass man sie intuitiv zu verstehen glaubt. Jane Goodall, der Pionierin der Schimpansen-Freilandforschung, sind schon Ende der 1960er Jahre eine ganze Menge solcher Ähnlichkeiten aufgefallen. Das reichte von der bittend ausgestreckten Hand über begeistertes Umarmen und Schulterklopfen bis hin zum beruhigenden Handhalten. Sogar ein Handkuss zur Begrüßung war unter Jane Goodalls Schimpansen keineswegs ungewöhnlich.

Auch aktuelle Studien zeigen erstaunliche Übereinstimmungen in der Körpersprache von Menschen und ihren nächsten Verwandten. So haben Emilie Genty von der Universität Neuchâtel in der Schweiz und Klaus Zuberbühler von der University of St. Andrews kürzlich zwei Gruppen von Bonobos beobachtet und gefilmt, die im Lola-Ya-Bonobo-Reservat in der Demokratischen Republik Kongo leben. Bei diesen auch als Zwergschimpansen bekannten Menschenaffen sind die Forscher auf ein Flirtverhalten gestoßen, das an Deutlichkeit auch für menschliche Augen nichts zu wünschen übrig lässt.

Meistens waren es in dieser Studie die Männchen, die auf die Idee verfielen, eine Partnerin ins Gebüsch zu locken. Mit einer verblüffend menschlich wirkenden Geste versuchten sie, die Partnerin zu sich heranzuwinken und zu einem diskreten Stelldichein zu überreden. Sie streckten den Arm nach dem Weibchen aus und wiesen dann auf sich selbst. Anschließend drehten sie sich um und machten sich in der gewünschten Richtung auf den Weg – nicht ohne sich immer wieder zu vergewissern, ob das andere Tier ihnen auch folgte. In 13 von 20 Fällen kamen die Casanovas zum Erfolg, manchmal allerdings erst nach mehreren beharrlichen Versuchen.

In anderen Fällen sind die Absichten gestikulierender Menschenaffen dagegen nicht so leicht zu durchschauen. Für ihr Lexikon mussten Catherine Hobaiter und Richard Byrne daher zahllose Stunden Videomaterial auswerten. Stars der Filmclips waren mehr als 80 wild lebende Schimpansen im Budongo-Wald in Uganda.

Die Gesten können auch mehrdeutig sein

Mehr als 4500 Mal wurden die Forscher Zeuge, wie diese Tiere durch ihre Körpersprache eine Botschaft an einen Artgenossen zu schicken versuchten. Interessant war dabei vor allem, wann sich die Schimpansen mit der Reaktion ihres Gegenübers zufriedengaben: Hörten sie auf zu gestikulieren, wenn der andere ihnen das Fell pflegte? Wenn er sich ihnen zu einem Ausflug anschloss? Oder wenn er auf Abstand ging? Aus solchen Beobachtungen konnten die Wissenschaftler auf die Absicht hinter der Gebärde schließen. Gesten, die im Rahmen von Spielen auftauchten, haben die Forscher bei diesen Analysen erst einmal außen vor gelassen. Denn spielende Affen verwenden ihre Zeichensprache nicht unbedingt in ihrer eigentlichen Bedeutung. 66 ernst gemeinte Gesten konnten die Forscher in menschliche Sprache übersetzen. Ein Klaps für den Artgenossen bedeutet zum Beispiel: „Lass das!“ Auch Schimpansen, die auf einen Gegenstand schlagen, wollen andere in die Schranken weisen und signalisieren: „Geh weg!“ Und wenn eine Mutter ihrem Jungtier die hintere Fußsohle zeigt, heißt das dagegen: „Kletter auf meinen Rücken, ich trage dich!“

Kompliziert wird die Sache dadurch, dass Schimpansen mehrere Gesten mit der gleichen Bedeutung im Repertoire haben. „Geh weg!“ lässt sich zum Beispiel nicht nur durch das Schlagen auf Gegenstände ausdrücken, sondern auch durch Armschwingen, Springen, Auf-den-Boden-Schlagen oder einen Fausthieb für den Adressaten der Botschaft. Es gibt auch den umgekehrten Fall. „Genau wie ein menschliches Wort kann auch eine Schimpansen-geste durchaus unterschiedliche Bedeutungen haben“, sagt Catherine Hobaiter. Springen kann zum Beispiel sowohl „Lass das!“ bedeuten als auch: „Folge mir!“

Die Forscher halten es sogar für möglich, dass Sprung nicht gleich Sprung ist. Vielleicht gibt es da subtile, aber entscheidende Unterschiede, die für menschliche Augen schwer zu erkennen sind. Es könnte auch sein, dass manche Gesten wirklich eine breite Bedeutung haben, die sich nur aus dem Zusammenhang richtig interpretieren lässt. „Da wir jetzt das Basislexikon der Schimpansengesten kennen, können wir uns auch solchen interessanten Fragen zuwenden“, sagt Catherine Hobaiter. Richtig „Schimpansisch“ sprechen zu lernen ist also gar nicht so einfach.