Die Geschichte von Zwillingen, die durch künstliche Befruchtung entstanden, dann aber der falschen Mutter eingepflanzt worden sind, wühlt Italien auf. Wem gehören die Babys?

Rom - Tiefblaue Augen sollen sie haben und ein paar kastanienbraune Haare. Zehn Tage sind sie alt. Sie sind Brüderchen und Schwesterchen, sie haben einen Familiennamen – und Eltern haben sie gleich doppelt. „Wir sind es!“, ruft das eine Ehepaar. „Uns gehören sie!”, behauptet das andere. Die beiden Babys sind vertauscht worden, aber nicht in der Wiege, sondern schon neun Monate zuvor. Zwei Paare waren es im   Dezember 2013, die sich in der staatlichen Pertini-Klinik in Rom per künstlicher Befruchtung ihren Kinderwunsch erfüllen wollten. Die Nachnamen klangen ähnlich, Dienst hatte eine einzige Laborantin. Ein Versehen, eine Verwechslung – und der einen Frau wurden die Embryonen des anderen Paares eingesetzt.

 

Erfolgreich, wie man bald sah, und tragisch auch. Denn schon während der Schwangerschaft stellte sich die Panne heraus. Und jetzt ist die Frage: Wem gehören die Kinder? Silvia Albano, die römische Zivilrichterin, die kurz nach Geburt der Zwillinge das Urteil sprach, sah sich auf juristisch unbegangenem Terrain. Sie hielt ausdrücklich fest, dass sie Gesetze „interpretieren” musste, die hinter den Möglichkeiten heutiger Elternschaft   zurückgeblieben sind.

Mutter ist, wer das Kind gebiert. Oder doch nicht?

Die unumstößliche Juristengewissheit „mater semper certa”, also dass (wenigstens) die Mutter immer feststehe, trägt nicht mehr. Wer ist Mutter in diesem Falle: die genetische? Oder die, die das Kind ausgetragen hat? Die Richterin Albano sprach letzterer die Kinder zu, sich erstens an den Codice Civile haltend, das italienische Bürgerliche Gesetzbuch, demzufolge „Mutter ist, wer das Kind gebiert“, zweitens die „enge, symbiotische Beziehung“ betonend, die schon im Uterus zwischen den beiden entstehe – und eben nicht außerhalb. Ferner, so die Richterin, seien bereits in den paar Tagen nach der Geburt „bedeutende Gefühlsbindungen zwischen den Kindern und deren Familie“ gewachsen. Die „falsche“ Mutter ist demnach für das Kindeswohl die richtige. Das andere Paar hingegen fühlt sich um seine Leibesfrüchte betrogen.

Ein „gnadenloses Urteil“, sei da ergangen, sagen die beiden. „Nur den anderen beiden werden Gefühle gegenüber den Zwillingen zugebilligt. Dabei lieben wir sie genauso. Wir werden behandelt, als seien wir nur Verteiler von Embryonen.” Der Mann, der ganz unstrittig und als einziger der Erzeuger sei, werde gehindert, seine Vaterschaftsrechte geltend zu machen, sagen sie. Über ihre Anwälte haben die beiden deshalb beantragt, die Babys bis zur Klärung der Sache „in eine geeignete Einrichtung” – sprich Waisenhaus – zu geben oder ihnen als den genetischen Eltern wenigstens ein Besuchsrecht zuzugestehen. Und weil die Richterin Albano das zurückgewiesen hat, wollen sie das alles „bis zum Europäischen Gerichtshof“ durchfechten.

Muss man für diesen Fall „Familie“ neu definieren?

Im Hin und Her der Mediendebatte melden sich Rechtsprofessoren zu Wort: Die Konturen der klassischen Familie lösten sich auch in Italien längst auf, sagen sie, also müsse man für das optimale Zwillingswohl eine „erweiterte Familie“ schaffen, was immer das heißt.   Jedenfalls seien jetzt dringend der Gesetzgeber und die Obersten Richter gefragt. Professor Amedeo Santosuosso aus Pavia sagt: „Der Grundsatz, dass legitime Mutter nur sein kann, wer das Kind zur Welt bringt, muss für verfassungswidrig erklärt werden.“ So etwas hätten sich die (vielen) Väter der italienischen Verfassung wohl auch nie träumen lassen.