Jahrzehntelang reihte sich für die Bundeswehr Schrumpfkur an Rotstift-Aktion. Jetzt prüft die Verteidigungsministerin, die Truppenstärke wieder zu erhöhen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Irgendwann in diesen Tagen muss Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sich die Devise angeeignet haben, dass man Eisen am besten schmiedet, wenn es heiß ist. Jedenfalls zögerte sie nicht, nur zwei Tage, nachdem das Kabinett den Bundeswehreinsatz zum Kampf gegen den IS in Syrien beschlossen hat, mit einer Pressekonferenz in die Offensive zu gehen. Ihr offizielles Thema war, den Einsatz von sechs Tornados, Tankflugzeugen und einer Fregatte zu erläutern. Aber ihre eigentliche Nachricht platzierte von der Leyen diskret im Wechselspiel zwischen Frage und Antwort mit den Journalisten.

 

Ihr Auftritt wurde von surrenden Kameras und so anhaltend klackernden Fotoapparaten begleitet, wie es in der Bundespressekonferenz eigentlich nur vorkommt, wenn ein Rücktritt in der Luft liegt oder die Kanzlerin kommt. Die Ministerin hatte zu dem Syrien-Einsatz, der diesem Freitag im Bundestag beschlossen werden soll, gemessen an ihrer tags zuvor gehaltenen Rede im Bundestag keine substanziellen Neuigkeiten, sondern lediglich vertiefende Informationen und Argumente mitgebracht. Gleichwohl wartete sie mit einer politischen Bombe auf: Nach Jahrzehnten mit schrumpfenden Etats und sinkender Personalstärke erwägt sie eine Kurskorrektur. Beschlossen ist die Aufstockung der Bundeswehr zwar noch nicht. Aber nachdem der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Volker Wieker, eine Schlüsselfrage zu den gegenwärtigen Verpflichtungen der Bundeswehr knapp mit „Ja“ beantwortet hatte, legte von der Leyen nach. Ob die derzeit bereits laufenden und die beiden neuen Einsätze der Bundeswehr – bei der UN-Mission Minusma in Mali und beim Kampf gegen den IS – die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr an ihre Grenzen bringe, lautete die Frage.

Parallele Krise bringen Truppe an die Leistungsgrenze

„Wir können all diese Aufträge erfüllen“, betonte Ursula von der Leyen. Ein „jetzt noch“, schwang in ihren Worten mit. „Aber die Parallelität und Heterogenität der Krisen ist eine besondere Herausforderung.“ Die Soldaten seien zwar mit äußerster Motivation dabei, ihre Aufträge zu erfüllen. Aber „beim weiten Blick auf den Personalkörper müssen wir fragen, ob die Aufgabenquantität und die Personalstärke noch zusammenpassen“. Derzeit liefen in ihrem Hause Analysen zu diesem Thema, die noch nicht abgeschlossen seien. „Aber wir müssen die Offenheit haben, nachzusteuern auch beim Personal“, sagte Ursula von der Leyen. Derzeit werde von ihrem Haus untersucht, „ob Aufgabenqualität und Personalausstattung noch zueinander passen“, sagte von der Leyen. Mit Ergebnissen sei in einigen Monaten zu rechnen. Gegebenenfalls müsse nachgesteuert werden.

Mit der letzten Reform 2011 war die Bundeswehr auf eine Sollstärke von bis zu 185 000 Soldaten verkleinert worden. Momentan tun bei der Bundeswehr 179 000 Soldaten und 88 000 zivile Mitarbeiter Dienst. Rund 3000 deutsche Soldaten sind derzeit im Auslandseinsatz, weitere bis zu 1200 sollen für den Syrien-Einsatz hinzukommen, 500 Soldaten sind für Mali vorgesehen. In den Hochzeiten der Einsätze im Kosovo und Afghanistan waren mehr als doppelt so viele Bundeswehrangehörige im Auslandseinsatz. Allerdings: die Notwendigkeit für 8000 Flüchtlingshelfer in Uniform gab es damals nicht.

Linke: Bundeswehr wird immer mehr in Kriege verstrickt

Ursula von der Leyens Vorstoß löste sofort Reaktionen aus. „Uns allen sollte klar sein, dass Flüchtlingshilfe keine Daueraufgabe der Bundeswehr sein kann“, erklärte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf der Ministerin vor, die Bundeswehr „immer tiefer in Kriege in aller Herren Länder“ verstricken zu wollen. Von der Leyen wolle aus der Bundeswehr mit ihrem im Grundgesetz festgeschriebenen Verteidigungsauftrag eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee machen, sagte Bartsch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Als Schützenhelfer für die Verteidigungsministerin agierte die Unionsfraktion im Bundestag. „Angesichts der stetig steigenden Aufgaben für die Bundeswehr ist eine Anhebung des Personalumfangs unumgänglich“, forderte der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte. „Wir müssen einer permanenten Überdehnung unserer Streitkräfte vorbeugen. Wenn wir die Konflikte und deren Auswirkungen von Deutschland und Europa fernhalten wollen, in den Krisenregionen für Stabilität sorgen wollen und unseren wichtigen Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung beitragen wollen, dann besteht die Gefahr der Überlastung unserer Streitkräfte.“