Der Kandidat Wolfgang Dietrich hat den Club auseinanderdividiert. Dabei hat seine S-21-Vergangenheit viel weniger polarisiert als sein Vorleben als im Fußball tätiger Geschäftsmann.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Es gab schon lange kein sportpolitisches Thema mehr, das Stuttgart so bewegt hat wie der Streit darüber, ob Wolfgang Dietrich neuer Präsident des VfB werden soll oder nicht. Diese Frage wird an diesem Sonntag auf der Hauptversammlung beantwortet. Endlich! Endlich haben allein die Mitglieder das Wort und nicht mehr nur die vielen Wahlkämpfer für oder gegen den umstrittenen 68-Jährigen.

 

Eine Kuschelatmosphäre herrscht selten vor der Mitgliederversammlung des zuletzt ständig krisengeschüttelten Vereins. Doch nie zuvor wurde um die Führungsrolle so erbittert gekämpft wie diesmal. Jeder weitere Tag der Unklarheit wäre eine Belastung für den Club. Schon jetzt erlebte der VfB eine Zerreißprobe. Für oder gegen Dietrich, diese Frage führte zuletzt soweit, dass rund um den Verein Freundschaften aufgekündigt wurden. So haben sich also schon vor der Wahl die Befürchtungen bestätigt, dass Wolfgang Dietrich mehr spaltet denn eint.

Es war aber nicht das von Vereinsseite befürchtete Thema „Stuttgart 21“, das durch den ehemaligen Projektsprecher als polarisierendes Element in den Verein getragen wurde. Viel mehr nährte vor allem Dietrichs geschäftliches Vorleben im Fußball die Zweifel an dessen Eignung für das höchste Amt im Verein. Seine ehemalige Tätigkeit als Chef der Quattrex Sports AG, die als Darlehensgeber vor allem in der zweiten Liga aktiv ist, warfen Fragen auf und machten einen Interessenkonflikt denkbar. Zumal Wolfgang Dietrichs Sohn Christoph weiter eine wichtige Rolle in der Firma spielt und der Senior immer noch Anteile an ihr hält.

Auf der anderen Seite kann Wolfgang Dietrich geltend machen, sich im Fußballgeschäft bestens auszukennen und durchsetzungsstark zu sein. Zwei Eigenschaften, die bei den VfB-Präsidenten zuletzt nicht besonders ausgeprägt waren. Die jeweiligen Argumente wurden in den letzten Tagen und Wochen intensiv ausgetauscht. So konnte sich das interessierte VfB-Mitglied ein einigermaßen scharfes Bild davon machen, wenn er an diesem Sonntag seine Stimme gibt – oder auch nicht.

Die Möglichkeiten der Satzung sollten nicht ausgereizt werden

In jedem Fall gilt es die Entscheidung zu akzeptieren und sich nicht über den Willen der Mitglieder hinwegzusetzen. Sollte Wolfgang Dietrich gewählt werden, muss er auf seine Kritiker zugehen. Sollte er scheitern, ist der Aufsichtsrat gut beraten, die Möglichkeiten der Satzung nicht komplett auszureizen. Es wäre ganz falsch, ihn den Mitgliedern ein zweites Mal zur Wahl vorzuschlagen. Zumal viele Mitglieder mit dem Aufsichtsrat hadern.

Den neuen Präsidenten ehrenamtlich arbeiten lassen, kann auch durchaus als ein vom Aufsichtsrat auf Dietrich zugeschnittenes Profil verstanden werden. Wer kann es sich leisten, für einen Vollzeitjob keine Bezahlung zu bekommen? Außerdem wurde nicht dem häufig geäußerten Wunsch vieler Mitglieder nachgekommen, zwei Präsidentschaftskandidaten zur Wahl zu stellen. So droht dem derzeit dreiköpfigen Aufsichtsrat am Sonntag sogar die Abwahl.

Was dann aber auch keine gute Idee wäre. Schließlich sind die entsprechenden Folgen derzeit unabsehbar. Der Verein könnte in große finanzielle Turbulenzen geraten, wenn die Vertreter der Hauptsponsoren – Martin Schäfer (Würth), Wilfried Porth (Daimler) und Hartmut Jenner (Kärcher) – vom Hof gejagt werden würden. Der Aufsichtsrat hat Fehler gemacht, aber möglicherweise auch Weichen richtig gestellt. Mit dem vom Gremium verpflichteten Sportvorstand Jan Schindelmeiser und dem Trainer Hannes Wolf darf im Moment die vorsichtige Hoffnung verbunden werden, dass es mit dem VfB wieder aufwärts geht. Jetzt sollte noch ein passender Präsident dazukommen, damit sich der Aufsichtsrat wieder auf seine eigentliche, nicht operative, sondern kontrollierende Aufgabe konzentrieren kann. Endlich!