Timo Gebhart besucht die Neckartalwerkstätten für behinderte Menschen. "Um den Leuten eine Freude zu machen", wie er sagt.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Die Vorfreude schlägt in ein Kreischen um, als Timo Gebhart aus seiner weißen Nobelkarosse mit den schwarzen Scheiben steigt. Annalena erwartet ihn mit ihrer Freundin Melanie bereits vor den Neckartalwerkstätten für behinderte Menschen in Hedelfingen, denen der Fußballprofi des abstiegsbedrohten Bundesligisten VfB Stuttgart einen Besuch abstattet. "Ich war schon heute Morgen nur aufgeregt, ich habe gestern Nacht sogar von ihm geträumt", sagt die 17-Jährige, die seit ihrer Geburt im Rollstuhl sitzt.

 

Von Kopf bis Fuß ist Annalena auf den VfB und Timo Gebhart eingestellt. Ihre Spezialschuhe tragen ebenso das Vereinsemblem wie die Radkappen ihres Rollstuhls, den zudem mehrere Aufkleber mit der Aufschrift "Niemals 2. Liga" zieren. Freilich hat sie auch ein Trikot mit dem roten Brustring an - nach der Europa-League-Partie in dieser Saison gegen Slovan Bratislava hat sie es von Timo Gebhart bekommen, ihrem absoluten Lieblingsspieler. "Wir kennen uns schon eine Weile", sagt der Fußballer.

Wo Timo Gebhart einem öffentlichen Auftritt hat, ist Annalena nicht weit. Nach Partien in der Mercedes-Benz-Arena lässt er sich auch oft bei den Rollstuhlfahrern am Rand blicken, wechselt mit Annalena und den anderen Dauerkarteninhabern ein paar Worte. Diesmal hat jedoch die 17-Jährige ein Heimspiel. Sie arbeitet in den Neckartalwerkstätten des Stuttgarter Caritasverbandes, setzt Dichtungen zusammen.

Besuch aus Eigeninitiative

Annalena begleitet Timo Gebhart, dessen verstorbene Cousine eine Behinderung hatte, auf dem Rundgang durch die verschiedenen Räume. Der 21-Jährige mit der David-Beckham-Gedächtnisfrisur hat dazu seinen elfjährigen Bruder David von seiner Mutter aus Memmingen herfahren lassen: "Er wollte unbedingt mit. Ich denke, es tut ihm gut, das zu sehen." Hier eine Unterschrift, da ein Foto. Timo Gebhart ist auch nicht um eine Umarmung verlegen, hat immer einen lockeren Spruch parat. Er zeigt keine Berührungsängste - und eine andere Seite von sich.

Ob er damit ein Zeichen setzen will, damit er nicht nur als der zu Egodribblings neigende Jungprofi mit dickem Auto und auffälliger Frisur wahrgenommen wird? "Nein, ich bin hergekommen, um den Leuten eine Freude zu machen - es gibt nichts Schöneres", sagt Timo Gebhart und fügt einen Satz an, der für ihn selbst und seine behinderten Gastgeber gleichzeitig gilt: "Man sollte nicht auf das Äußere achten, sondern danach urteilen, wie jemand im Inneren ist." Der Besuch geht auf seine eigene Initiative zurück. Und vergangene Saison hatte er mal eine ganze Gruppe aus den Neckartalwerkstätten zum Auswärtsspiel beim FC Bayern München eingeladen.

"Auf der einen Seite ist er vielleicht ein Feger, andererseits aber auch sehr authentisch. Er geht souverän mit unseren Leuten um, und das merken die auch", sagt der Werkstattleiter Gerhard Sohst. "Durch solche Aktionen kann man Brücken schlagen, das ist jetzt die ganze Woche Thema hier."

"Ich hab' geheult bei der Meisterschaft"

Lässig marschiert Timo Gebhart mit einer Menschentraube um sich herum in schwarzen Trainingshosen, schwarzem Kapuzenpullover und weißen Turnschuhen durch die Werkstätten. Dabei begegnet er Joachim. "Timo, ein Tipp von mir: schieß, hau drauf! Ned immer den Ball ins Tor tragen, schieß aus allen Lagen", sagt der 40-Jährige. "Gegen Kaiserslautern bin ich dabei, dann ruf ich dir rein." Timo Gebhart verspricht, den Ratschlag zu beherzigen.

Für die Partie darauf beim 1. FC Köln gibt der VfB-Fan Joachim ("Ich hab' geheult bei der Meisterschaft") Timo Gebhart einen Tipp mit: "Wenn ihr merkt, dass durch die Mitte nichts geht, dann macht das Spiel breit. Novakovic und Podolski, auf die müsst ihr aufpassen. So schlagt ihr die Geißböcke!" Danach klatschen der Fußballexperte und der Fußballprofi sich ab.

Annalena bleibt bis zum Ende an Timo Gebharts Seite. Sie ist nicht mehr so aufgeregt, sondern glücklich - spätestens nach dem Bild mit ihrem Liebling: "Das wird mein neues Profilfoto bei Facebook."

Eine langjährige Verbindung

Fanclub: Die Neckartalwerkstätten des Stuttgarter Caritasverbandes in Hedelfingen sind eng mit dem VfB Stuttgart verbunden. 1993 haben sie den ersten Behindertenfanclub des Fußball-Bundesligisten gegründet; er hat 160 Mitglieder. „Das war auch der erste überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland“, sagt Richard Sillmann, der sich seit 1991 als ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter des VfB engagiert.

Austausch: Immer wieder haben VfB-Spieler ihren Zivildienst in den Neckartalwerkstätten geleistet wie zuletzt der Neuprofi Ermin Bicakcic. In der Mercedes-Benz-Arena gibt es 150 Rollstuhlplätze und 30 Blindenplätze. Richard Sillmann ist für die Koordination zuständig.