Daniel Ginczek muss sich wie im falschen Film vorgekommen sein. Da stand der VfB-Stürmer vor der Fernsehkamera, sollte die sportliche Misere erklären und fand sich schnell in einer Situation wie beim Saisonendspurt wieder: Er musste rechnen. „Wir haben noch 27 Spiele. Da gibt es noch genügend Punkte zu holen.“

 

Das Problem ist, dass die VfB-Offensive in einer Psychospirale zu stecken scheint, die schwer zu erklären und noch schwerer zu durchbrechen ist. Sichtbar ist: die Stuttgarter erspielen sich reihenweise Torchancen, treffen aber selten und stehen mit nur einem Sieg aus sieben Partien als große Verlierer da.

„Wir geben nach Bayern München die meisten Torschüsse ab“, sagt Alexander Zorniger – aber die Ausbeute . . . Neun Tore, davon zwei per Elfmeter wie beim 1:2 gegen Gladbach durch Ginczek (40.) haben die Stuttgarter erst erzielt. „Vier glasklarste Chancen haben wir pro Spiel und vergeben sie“, weiß der VfB-Trainer und rechnet die guten Möglichkeiten erst gar nicht ein, weil er auch weiß: „Mit diesen Statistiken können wir nicht weiter spielen.“

Noch bitterer wird die mangelhafte Chancenverwertung dadurch, dass die Spieldaten ergeben, dass sowohl die Gladbacher als auch die Schalker zuvor in der Defensive noch mehr Fehler machten als der VfB. Nur: die Gastgeber nutzten sie eben nicht wie Raffael beim Konter zum 3:1. „Wir vergeben Chancen von der ersten bis zur 90. Minute“, sagt Zorniger und will deshalb nichts von fehlender Konzentration oder Kondition wissen.

Dennoch fehlt dem VfB vor dem Tor etwas Wichtiges: die Ruhe beim Abschluss. Die Spieler wirken häufig schon abgehetzt, wenn sie vor die Kiste kommen. Ob das an der Spielweise liegt, die auf Tempo und Intensität getrimmt ist, bleibt aber eine unbelegbare These.

Gar nicht auszudenken, wenn Przemyslaw Tyton (28) nicht im Tor gewesen wäre. „Ohne ihn hätten wir höher verloren“, sagt der Manager Robin Dutt. 1:4, 1:5, 1:6? Diese Treffer sind gegen Gladbach nicht gefallen – im Gegensatz zum leicht vermeidbaren 0:1. Deshalb lautet eine andere These, die in der Stuttgarter Arena die Runde macht: Ohne Tyton hätte der VfB wohl gewonnen.

Das lässt sich natürlich so wenig beweisen wie die Behauptung von Dutt, doch fest steht, dass sich die Schlüsselszene in der 17. Minute ereignet. Bis dahin bestimmt der VfB das Geschehen. Dann schlägt Raffael einen Freistoß in den Strafraum. Tyton läuft zuerst zwei Schritte nach vorne und anschließend einen Schritt zurück. So kann Granit Xhaka unbedrängt einköpfen. Der auch insgesamt unsicher wirkende Keeper ist geschlagen – wieder einmal.

Schon gegen Köln, Hamburg und Frankfurt war Tyton an entscheidenden Gegentoren maßgeblich beteiligt. In Berlin war er gesperrt. Sein Vertreter Odisseas Vlachodimos (21) machte seine Sache gut, doch im nächsten Spiel gegen Schalke war er wieder draußen – ohne Kommentar und ohne dass ihn einer beim VfB für seine Leistung kurz gelobt hätte. Tyton kehrte zurück.

Er wird seinen Platz am Samstag in Hoffenheim behalten, weil Dutt und Zorniger erstens von Vlachodimos nicht überzeugt sind. Und zweitens fällt der als Nummer eins für drei Millionen Euro aus Dortmund verpflichtete Mitchell Langerak (27) noch lange aus – wobei im Umfeld der Borussia schon Wochen vor dem Transfer nach Stuttgart zu hören war, dass das Knie des Australiers extrem verletzungsanfällig und risikobehaftet ist. Doch der VfB teilte die Bedenken nicht – weil er sie nicht kannte?

Jedenfalls ist die Misere auf dieser Position hausgemacht. Tyton kam im Sommer für eine Million Euro aus Eindhoven. Vorgesehen war er als Ersatz für Langerak. Dabei wollte der Club seine Keeper bis vor Kurzem selbst ausbilden, in seiner Talentschmiede, die er als bundesweit vorbildlich bezeichnete. Aktuell hat es der VfB aber nicht geschafft, aus dem Nachwuchs eine Nummer zwei für die Profis zu entwickeln. „Ich will den Hebel an der richtigen Stelle ansetzen – nicht beim Torwart“, sagt Dutt jedoch.

Das Abwehrproblem

Als Alexander Zorniger noch auf dem Fußballlehrer-Lehrgang in Köln war, da hörte er einmal aufmerksam den Worten eines Trainerkollegen zu. In der ersten Liga bilde er keine Spieler mehr aus, betonte dieser. Und auch der VfB-Coach ist davon ausgegangen, in Stuttgart mehr einen Vermittlungsauftrag und weniger einen Ausbildungsauftrag erhalten zu haben.

Eine Spielkonzeption zu entwickeln und mit Leben zu füllen, ist die grundsätzliche Herausforderung. Doch schon nach wenigen Bundesligawochen blickt Zorniger auf vielsagende Zahlen: drei gegen Köln, vier gegen Frankfurt, eins gegen Schalke und wieder drei gegen Gladbach in der Mercedes-Benz-Arena. Dazu auswärts drei in Hamburg, zwei in Berlin und eins in Hannover. Die Anzahl der Gegentore summiert sich beim VfB zur schlechtesten Defensive sowie zu einer Serie von individuellen Fehlern und der bitteren Trainererkenntnis: „Jetzt sind uns zum ersten Mal auch bei Standards Fehler unterlaufen.“

Eine Freistoßflanke führte zum Rückstand durch Granit Xhaka (17.). Unbehelligt köpfte er ein. Dabei sollte die Lufthoheit mit den langen Innenverteidigern Toni Sunjic (1,92 Meter) und Timo Baumgartl (1,90) den Stuttgartern gehören. Dabei sieht Florian Klein in entscheidenden Zweikämpfen schwach aus. Dabei gibt es eine klare Aufteilung, wer im Raum und wer am Mann zu stehen habe. Aber: „Wir können nicht jedes Mal so einen hohen Aufwand betreiben, wenn wir uns hinten die Dinger selbst einschenken“, sagt Zorniger.

Nur drei Minuten nach dem 0:1 hieß es schon 0:2 durch ein Eigentor von Christian Gentner – Pech für den Kapitän, dass er am Ende einer Fehlerkette stand. Zu leicht macht der VfB seinen Gegnern das Toreschießen, weil nur darauf Verlass ist, dass immer einer patzt. Deshalb muss Zorniger beim Versuch, die Defensive zu stabilisieren fußballerisch viel weiter vorne anfangen, als ihm lieb sein kann. Ein besseres Eins-gegen-eins-Verhalten ist gefragt und eine bessere Absicherung, da sich personelle Alternativen kaum anbieten. „Wir haben ja kein brutales Eins-gegen-eins-Monster auf der Bank“, sagt Zorniger, „und kommt mir jetzt nicht mit Georg Niedermeier.“

Das Abschlussproblem

Daniel Ginczek muss sich wie im falschen Film vorgekommen sein. Da stand der VfB-Stürmer vor der Fernsehkamera, sollte die sportliche Misere erklären und fand sich schnell in einer Situation wie beim Saisonendspurt wieder: Er musste rechnen. „Wir haben noch 27 Spiele. Da gibt es noch genügend Punkte zu holen.“

Das Problem ist, dass die VfB-Offensive in einer Psychospirale zu stecken scheint, die schwer zu erklären und noch schwerer zu durchbrechen ist. Sichtbar ist: die Stuttgarter erspielen sich reihenweise Torchancen, treffen aber selten und stehen mit nur einem Sieg aus sieben Partien als große Verlierer da.

„Wir geben nach Bayern München die meisten Torschüsse ab“, sagt Alexander Zorniger – aber die Ausbeute . . . Neun Tore, davon zwei per Elfmeter wie beim 1:2 gegen Gladbach durch Ginczek (40.) haben die Stuttgarter erst erzielt. „Vier glasklarste Chancen haben wir pro Spiel und vergeben sie“, weiß der VfB-Trainer und rechnet die guten Möglichkeiten erst gar nicht ein, weil er auch weiß: „Mit diesen Statistiken können wir nicht weiter spielen.“

Noch bitterer wird die mangelhafte Chancenverwertung dadurch, dass die Spieldaten ergeben, dass sowohl die Gladbacher als auch die Schalker zuvor in der Defensive noch mehr Fehler machten als der VfB. Nur: die Gastgeber nutzten sie eben nicht wie Raffael beim Konter zum 3:1. „Wir vergeben Chancen von der ersten bis zur 90. Minute“, sagt Zorniger und will deshalb nichts von fehlender Konzentration oder Kondition wissen.

Dennoch fehlt dem VfB vor dem Tor etwas Wichtiges: die Ruhe beim Abschluss. Die Spieler wirken häufig schon abgehetzt, wenn sie vor die Kiste kommen. Ob das an der Spielweise liegt, die auf Tempo und Intensität getrimmt ist, bleibt aber eine unbelegbare These.

Das Mentalitätsproblem

„Ich hasse es, zu verlieren“, sagt Zorniger. Natürlich gehen auch die Spieler nicht gerne mit einer Niederlage vom Platz – aber trifft sie das genauso hart wie den Trainer?

Fest steht, dass sich die Mannschaft in den vergangenen zwei, drei Jahren immer erst zusammengerissen hat, als der Absturz in die zweite Liga drohte. In der allergrößten Not zeigte der VfB plötzlich andere Auftritte, so wie am Ende der vergangenen Saison mit drei Siegen in den letzten drei Spielen. Zuvor gab es eine lange Zeit, in der dem Team nicht einmal mehr zwei Erfolge nacheinander gelungen sind – und in dieser Runde setzt sich diese Phase bis heute fort. Dabei wäre nach den drei Punkten in Hannover nun gegen Gladbach die Chance da gewesen, diese Serie zu durchbrechen. Doch im Gegensatz zum Mittwoch, als die Elf nach einem 0:1-Rückstand sofort die Ärmel hochgekrempelt hat, passierte gegen die Borussia erst mal – nichts.

Das kann dann durchaus ein Zeichen sein, dass der VfB zu genügsam und zu schnell zufrieden ist – nicht nur die Spieler, sondern der ganze Club. Intern ist es schon länger ein Thema, dass offenbar nicht der richtige Geist ausgestrahlt wird – vom Aufsichtsrat und vom Vorstand über das mittlere Management auf der Geschäftsstelle bis hinunter in die Mannschaft.

Wie das funktioniert, beweisen speziell die Bayern, bei denen jeder Spieler weiß, dass er ständig unter genauer Beobachtung der Vereinsführung steht. Nachlässigkeiten kann sich deshalb keiner erlauben. Dagegen vermittelt der VfB eher das Bild einer Wohlfühloase. Keiner grätscht dazwischen – weder in der Chefetage noch eventuell als Folge davon auf dem Platz.