Nach zwei Rückrundenspielen und null Toren muss sich der VfB Stuttgart vor der Heimpartie gegen den FC Bayern am Samstag einer Grundsatzdebatte stellen. Wie viel Offensivkraft braucht der Fußball-Bundesligist im Abstiegskampf?

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Das Spiel schickte sich gerade an, in die Schlussviertelstunde zu gehen. Und genau in dieser berühmt-berüchtigten Phase, in der Fußballmannschaften sich zu ungeahnten Energieleistungen aufraffen können, in der sich der Lauf der Kugel oft schon kurios gedreht hat, in der manchmal auch die zähesten Spiele einfach durch ein Tor entschieden werden, genau da also tobte auch an der Seitenlinie des Kölner Stadions ein Kampf. Genauer: in der Stuttgarter Coachingzone. Noch genauer: in Huub Stevens selbst, dem Coach des VfB.

 

Eine innere Stimme flüsterte ihm zu: Mach et, Huub! Riskier etwas, bring frische Offensivkräfte, denn die Chance ist groß, gegen diese Kölner zu gewinnen. Zeitgleich meldete sich jedoch auch eine knurrige Stimme: Lass et, Huub! Verlier nicht den Kopf, die Ordnung – und damit das Spiel.

Stevens hat diesen inneren Disput dann auf seine ganz eigene Art beendet. Er hat den Stürmer Vedad Ibisevic und den offensiven Mittelfeldspieler Alexandru Maxim eingewechselt – in der 87. und in der 90. Minute. Positionsbezogen, Stürmer für Stürmer, Offensivkraft für Offensivkraft. Das Risiko, die Partie noch zu verlieren, war damit auf ein Minimum reduziert – aber ebenso die Wahrscheinlichkeit, sie noch zu gewinnen. 0:0 hieß es am Ende, und der Sportjournalist, der einst den Begriff „leistungsgerecht“ eingeführt hat, muss damals ein Spiel wie das des VfB beim 1. FC Köln vor Augen gehabt haben.

Fußballerisch bewegt sich nichts

Das Problem der Schwaben wurde im Rhein-Energie-Stadion überdeutlich. Man könnte von einer doppelten Ereignislosigkeit sprechen. Einmal, weil der VfB trotz des Punktes und des Hinaufrutschens auf Platz 16 in der Tabelle nicht wirklich vorwärtskommt. Und einmal, weil sich fußballerisch nichts bewegt bei den Stuttgartern. Vielmehr müssen sie sich nach nur zwei Rückrundenspielen und null erzielten Toren einer Grundsatzdebatte stellen, die sich nach dem Duell mit dem FC Bayern am Samstag (15.30 Uhr) verschärfen könnte.

Wie viel Offensive braucht der VfB in dieser brenzligen Situation? Das ist die Frage, um die sich im Augenblick vieles dreht – und die Huub Stevens in ihrem Kern nicht nachvollziehen kann. „Du kannst viel für die Offensive tun“, sagt der Trainer, „aber du bist abhängig von den Spielern.“ Anders ausgedrückt: mit diesen Spielern kannst du dich nur dem Diktat des Resultats beugen und defensiv spielen. Er weiß das, der Rest muss es noch kapieren. Denkt Stevens.

Als Beleg für seine Überzeugung sieht Stevens seine Maßnahme mit Sercan Sararer in Köln. Er sollte über den linken Flügel mehr Schwung in den Angriff bringen. Die Hoffnung erfüllte sich nicht, weshalb der Niederländer zu Timo Werner zurückwechselte. Jenem Timo Werner, der immer noch ein 18-jähriges Supertalent ist, dessen Entwicklung aber seit Längerem stagniert – genau wie die der Mannschaft selbst.

Vier Trainer, ein Problem

Die Spiele des VfB gleichen seit Jahren einem Muster. Sie sind nie ganz schlecht, aber auch selten richtig gut. Die VfB-Elf ist immer bemüht, aber kaum erfrischend in ihren Aktionen. Und regelmäßig kämpft sie mit Gleichgewichtsstörungen: spielen die Stuttgarter mutiger nach vorne, hagelt es Gegentore. Gehen sie hinten auf Nummer sicher, verbreiten sie keine Torgefahr.

An der Balance zwischen Defensive und Offensive arbeiteten sich vor Stevens auch schon Armin Veh, Thomas Schneider und Bruno Labbadia ab. Vier Trainer, ein Problem – und vielleicht keine Lösung. Denn der Blick zurück zeigt auch, dass allein in den vergangenen eineinhalb Jahren stets große Hoffnungen an den Trainer und die mit ihm absolvierte Vorbereitung geknüpft waren. Im Juli 2013 mit Labbadia, im Januar 2014 mit Schneider, im Juli 2014 mit Veh, im Januar 2015 mit Stevens. Stets sollte es aufwärtsgehen, nie wurde das Tal der fußballerischen Not verlassen.

Danach sieht es auch jetzt wieder aus. Weshalb Stevens bereits begonnen hat, die Mannschaft, den Club und die Fans auf seine schlichten Fußballwahrheiten im Abstiegskampf einzustimmen. Noch 15 Spiele, eines davon eben jetzt gegen die großen Bayern, abgerechnet wird aber ohnehin erst nach 34 Spieltagen und so weiter. Erfahrungen aus zig Trainerjahren. Stabilität und Sicherheit sind bei Stevens gefragt.

Doch ausgerechnet die Taktik, die nur auf die defensive Kontrolle setzt, birgt auch eine Gefahr. Denn gelingt dem VfB nicht regelmäßig ein Törchen, dann kann sich die abwartende Haltung als vergeudete Zeit erweisen. Erst laufen einem die Minuten im Spiel weg, später gehen einem die Spiele selbst aus. „Der Kampf um den Klassenverbleib bedeutet: Ruhe bewahren, Vertrauen signalisieren und an außergewöhnliche Punkte zu glauben“, sagt der Sportvorstand Robin Dutt. Letzteres vielleicht ja schon gegen die übermächtig erscheinenden Münchner. „Um zu gewinnen, müssen wir aber einen Tick mehr Risiko nehmen, allerdings im richtigen Moment“, sagt der Kapitän Christian Gentner. Und um diese passenden Momente zu finden, wird der Trainer Huub Stevens wohl noch öfter am Spielfeldrand mit sich ringen müssen.