Finale furioso!? Vor dem entscheidenden Spiel in Wolfsburg versucht der selbst angeschlagene Trainer Jürgen Kramny, beim VfB Stuttgart noch einem alle Kräfte zu bündeln.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Rein theoretisch ist es ja so, dass sich der VfB noch eine Chance auf den Verbleib in der Fußball-Bundesliga ausrechnet. Ein Stuttgarter Sieg in Wolfsburg plus ein Frankfurter Sieg in Bremen ergibt ganz einfach die Relegation – und in der Relegation gegen den Zweitligadritten 1. FC Nürnberg wäre der VfB zwar weiter eine Unbekannte, aber die Erfolgswahrscheinlichkeit würde steigen. Rein praktisch ist es jedoch auch so, dass keiner mehr daran glaubt, der die VfB-Mannschaft in den vergangenen Wochen erlebt hat. Es sei denn, man heißt Jürgen Kramny oder so.

 

Der Trainer ist ja von Amts wegen dazu verdonnert, an sein Team zu glauben. Bei Kramny verhält es sich aber auch so, dass er an das Team glauben will – obwohl er es unmittelbar nach den Niederlagen zuletzt in Bremen und gegen Mainz am liebsten verdammt hätte. Zur Hölle wünschte er wohl die meisten Spieler, die er aufgeboten hatte. Doch jetzt, einige Tage nach Mainz und wenige Tage vor Wolfsburg, meint Kramny: „Nicht alle Leute halten es für unmöglich, dass wir es noch schaffen.“ Verstärkt habe sich der Glaube an die Wende zum Guten auch im Mannschaftskreis. Betont Kramny.

Er sagt es so, wie er es vor den Spielen zuvor auch schon gesagt hat. Entschlossen. Er wiederholt sich auch gerne in diesem Zusammenhang und kommt immer wieder auf den zentralen Punkt: „Wir müssen bereit sein, an die Grenze zu gehen.“ Wahrscheinlich muss der VfB sogar bereit sein, über die Grenze zu gehen, um das Wunder von Wolfsburg Wirklichkeit werden zu lassen. Drunter wird es auch gegen einen Gegner nicht gehen, der enttäuscht hat, und der nach dem letzten Saisonspiel zu einer wenig lustvollen China-Reise aufbricht.

Ob das alles ein Vorteil sei, weil der labile VfB nun nichts mehr zu verlieren habe, ist eine der Fragen auf der Pressekonferenz vor der Begegnung am Samstag in der VW-Stadt. Auch ansonsten ist viel von Psychologie die Rede. Und von der persönlichen Betroffenheit, vor allem bei Kramny. Acht Fernsehkameras wollen da jede Regung des 44-Jährigen aus Ludwigsburg einfangen, etliche Journalisten seine Sätze aufschreiben und daraus Erkenntnisse ableiten.

Finale für Jürgen Kramny

Allerdings gibt es im Moment an der Mercedesstraße nur eine Wahrheit: „Jeder weiß: es geht dem Ende zu. Es ist ein Endspiel“, sagt Kramny. Und womöglich nicht nur das letzte Stuttgarter Erstligaspiel für eine längere Zeit, sondern ebenso ein Finale für ihn. Denn die Aussichten, Chefcoach zu bleiben, sind mit den Leistungen im Abstiegskampf rapide gesunken. Eine Situation, die einen belasten muss, der sein Herz genau auf Höhe des Brustrings trägt. Eine Situation jedoch, die Kramny nicht an sich heranlassen will, noch nicht: „Meine Person ist jetzt völlig unwichtig. Es geht darum, dass alle alles für den VfB geben.“

Mit Daniel Didavi, der in der nächsten Saison bekanntlich ablösefrei nach Wolfsburg geht, hat er deshalb schon mehrfach gesprochen. „Er ist ein VfB-Junge, und er hat versprochen, sich noch einmal den Hintern aufzureißen“, sagt Kramny. Mit Martin Harnik hat er ebenfalls geredet, ihn im Training genau unter die Lupe genommen und nun ist der zuletzt aus dem Kader gestrichene Österreicher wieder ein Kandidat für die Herausforderung in Niedersachsen, vermutlich sogar für die Startformation.

Keine Psychospielchen

Große personelle Änderungen wie zur Mainz-Partie (sechs Wechsel) plant Kramny jedoch nicht. Mit Ausnahme der Torwartrochade ist der Effekt ist ja auch ausgeblieben. Was bleibt also zu tun? Trainerhandwerk. Drei Übungseinheiten im Stadion. Keine Psychospielchen, um die verunsicherten Spieler wieder aufzupäppeln. Kein Kurztrainingslager, um die Profis wie verängstigte Pfadfinder um sich zu scharen. „Ich glaube, dass es gerade jetzt wichtig ist, dass sich die Spieler in ihrem gewohnten Umfeld bewegen“, sagt Kramny.

Eine Wagenburgmentalität soll sich dennoch herausbilden – mit bewegten Bildern aus spektakulären Rettungen, die den Spielern vorgeführt werden. „Es gibt ja nichts, was es im Fußball am letzten Spieltag nicht schon gegeben hat. Das kann auch am Samstag wieder passieren“, sagt Kramny. Es ist seine letzte Hoffnung, dass das Spiel in Wolfsburg, ja der ganze Spieltag eine Eigendynamik entwickelt, die den VfB noch erstklassig hält. Rein theoretisch ist das mit dieser Mannschaft auch machbar.