Nach dem 3:1-Erfolg in Hannover herrscht Erleichterung in den Reihen des VfB Stuttgart, aber keine Euphorie. Die Beteiligten halten sich mit Lob zurück.

Hannover - Als der Ball in der Schlussminute nach langem Flug schließlich vom Pfosten über die Torlinie tropft, als das Spiel entschieden ist und sich um ihn herum alle jubelnd in den Armen liegen, da sieht Alexander Zorniger aus wie ein Hobbyläufer im Zielraum eines Halbmarathons. Die Hände schwer atmend auf die Knie gestützt, den Blick starr auf den Boden gerichtet – so ist der Fußballtrainer auch unmittelbar nach den beiden Aufstiegen mit RB Leipzig dagestanden. Diesmal liegt keine Meisterschaft hinter ihm, sondern nur ein glanzloser 3:1-Sieg bei Hannover 96, doch für Zorniger ist es viel mehr als das. Er spürt wieder dieses wohlige „Gefühl der extremen Befreiung“.

 

Fünf Spiele hat der Chefcoach des VfB Stuttgart darauf warten müssen. Fünf Spiele, in denen seine Mannschaft zwar viel Lob bekam, aber keinen einzigen Punkt; fünf Spiele, nach denen der Bundesliganeuling auf der Trainerbank zwar unermüdlich die Vorzüge seines Spielsystems predigte, jedes Mal aber als Verlierer vom Platz gegangen war. In Hannover bot der VfB am Mittwochabend nicht einmal seine beste Leistung und machte es sich viel schwerer als nötig – was Zorniger diesmal völlig egal sein durfte. Mit seinem ersten Sieg ist nun auch er in der Bundesliga angekommen. „Das tut uns allen sehr, sehr gut.“

Dutt mahnt zur Bescheidenheit

Viel Mühe gibt sich der Rest des Stuttgarter Fußballtrosses, nur ja keinen Überschwang erkennen zu lassen. Da sei „irgendwo sicher ein bisschen Erleichterung“, sagt der Mannschaftskapitän Christian Gentner, „aber unsere Situation ist unverändert schlecht“. Und auch der Sportchef Robin Dutt sieht in den Katakomben des Hannoveraner Stadions „keinen Grund, Purzelbäume zu schlagen“ oder beim anschließenden Rückflug nach Stuttgart die große Party auszurufen: „Da werden sicher keine Sektkorken knallen.“ Denn: „Wir haben nur das Tagesziel erreicht.“ Schon an diesem Samstag (15.30 Uhr) kommen die Gladbacher nach Stuttgart, die am Mittwoch ebenfalls mit gehöriger Verspätung die ersten drei Punkte verbuchen durften.

Vorsicht ist beim VfB auch weiterhin geboten, denn das (vorläufige) Ende der Negativserie bedeutet nicht, dass die Stuttgarter das Feld nun automatisch und unaufhaltsam von hinten aufrollen. Auch bei Hannover 96, im Moment mutmaßlich der schwächste Gegner, den die Bundesliga zu bieten hat, zeigte sich, wie fragil das VfB-Gebilde weiterhin ist. Die Stuttgarter waren zwar wie in den vergangenen Spielen die eindeutig bessere Mannschaft und erspielten sich wieder einige gute Chancen. Doch wurde man bis in die Schlussphase hinein das Gefühl nicht los, dass es trotz aller Überlegenheit jederzeit auch im eigenen Tor einschlagen könnte.

Der Hauptunterschied zu den vergangenen Spielen: diesmal hatte der VfB jenes Quantum Glück, das im Fußball manchmal nötig ist und das die Stuttgarter bisher so vermisst hatten. Während Alexandru Maxims Schuss am Ende vom Innenpfosten zum 3:1 ins Tor sprang, prallte der Versuch von Marcelo vom Pfosten zurück ins Spielfeld. Es wäre unmittelbar vor der Pause das 2:2 gewesen, nachdem zu Beginn des Spiels ein regulärer 96-Treffer wegen angeblicher Abseitsposition nicht anerkannt worden war. Viel fehlte also nicht, und es hätte auch diesmal wieder lange Gesichter von Seiten des VfB gegeben.

Gentner präsentiert sich als Chef

Dennoch nährt dieser erste Saisonerfolg die Hoffnung, dass es nun tatsächlich aufwärts gehen könnte. Es spricht für die Stuttgarter, dass sie nur vier Minuten benötigten, um aus dem 0:1-Rückstand eine 2:1-Führung zu machen. Man hat Fußballmannschaften, die gerade fünf Spiele nacheinander verloren haben, in so einer Situation auch schon hochgradig nervös werden sehen. Aber der VfB steckte diesen Rückschlag weg – und reagierte. Dass das bisherige Sorgenkind Timo Werner (siehe „Das Ende der Leiden“) an beiden Treffern maßgeblich beteiligt war, darf darüber hinaus als weiterer Mutmacher verstanden werden – genau wie die Leistung von Christian Gentner, der erstmals wieder als echter Anführer in Erscheinung trat.

Und schließlich wird niemand, der Daniel Ginczek in der Schlussphase hat sprinten sehen, behaupten können, die VfB-Spieler gäben für das Team nicht ihr Allerbestes. Nach einem Eckball eilte der Mittelstürmer vom gegnerischen Strafraum bis an die eigene Grundlinie zurück, um seine Mannschaft dort mit einer beherzten Grätsche vor möglichem Unheil zu bewahren. Zwar musste auch Ginczek anschließend schwer atmend die Hände auf den Knien stützen – doch war ihm der Beifall seines Trainers sicher. „Das war eine beispielhafte Aktion“, sagt Zorniger, „da fahre ich voll drauf ab.“