Der Historiker und Politikwissenschaftler Armin Käfer hat im VHS-Pressecafé darüber gesprochen, welche Ursachen weltweit zu Flucht führen. Erschreckend: Allein 28 Millionen Kinder sind weltweit auf der Flucht vor Krieg und Gewalt.

Stuttgart - Weltgeschichtlich sind 150 Jahre nichts. So kurz ist es her, dass Europäer zahlreich ausgewandert sind. „Fünf Millionen Deutsche gingen in die Vereinigten Staaten“, sagte Dagmar Mikasch-Köthner, die Chefin der Volkshochschule Stuttgart, als sie am Mittwochabend in der Reihe „Stuttgarter Zeitung direkt – VHS Pressecafé“ den Journalist Armin Käfer begrüßte.

 

Der Autor dieser Zeitung sprach über „Die Welt auf der Flucht“, aufbereitet in fünf Thesen. Eine davon: Zahlen spiegeln nicht in jedem Fall Fakten wieder. So haben nach dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UN) rund 50 Millionen Kinder ihr Zuhause verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben – 28 Millionen davon sind auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Zahlen könnten aber auch desinformieren, etwa für Fundraisingzwecke.

Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan und Somalia

Rund 53 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland kämen aus den drei Ländern Syrien, Afghanistan und Somalia. Deutschland trage dabei keineswegs die Hauptlast. Von den zehn Millionen Syrern, die ihre Heimat verließen, lebten mehr als 360 000 in Deutschland. In Jordanien, das weniger Einwohner als Baden-Württemberg habe, seien es 525 000. „Im Vergleich dazu müssten wir vier Millionen Syrer aufnehmen“, sagte der Politikwissenschaftler und Historiker. „Neun von zehn Flüchtlingen halten sich im südlichen Afrika, in Asien oder in der Pazifikregion auf.“

In Deutschland seien unter den rund neun Millionen Ausländern Ende 2015 nur 0,06 Prozent anerkannte Asylbewerber gewesen. Im laufenden Jahr seien bisher knapp 700 000 Asylanträge eingegangen, und es gebe rund eine halbe Million Altfälle, die noch bearbeitet werden müssten. „Die Behörde ist den Verhältnissen längst noch nicht gewachsen“, so Käfer. Zudem gebe es ein Vollzugsdefizit bei den Abschiebungen. Selbst mit einem geänderten Asylrecht müsse man nach internationalem Recht, etwa der Genfer Konvention, Menschen Schutz gewähren. „Die Frage ist, ob es nicht sinnvoller wäre, in eine humane und erträgliche Unterbringung der Flüchtlinge in den jeweiligen Heimatregionen zu investieren.“ Rund 20 Milliarden Euro gebe der Bund für Flüchtlinge aus. So gingen pro Kopf und Monat 670 Euro an die Länder. Laut Käfer geht es aber nicht vorrangig um Finanzen. „Langfristig ist entscheidend, wie schnell Flüchtlinge einen Arbeitsplatz bekommen.“ 50 000 hätten das seit September 2015 geschafft. Die größte Hürde sei die deutsche Sprache. Die Zahl der Flüchtlinge, die Deutschkurse besuchten, nehme kontinuierlich zu. „Aber es mangelt an Lehrpersonal, Wohnungen, baureifen Grundstücken, Sozialarbeitern, Jobs für Leute ohne Sprach- und vertiefte Berufskenntnisse.“ Die globalen Verhältnisse legten nahe, dass die Flüchtlingskrise andauere, neben Bürgerkrieg, dem Terror des sogenannten Islamischen Staats, einer instabilen Lage in Libyen sowie den Verlockungen des westlichen Konsums sei auch der Klimawandel ein Fluchtgrund, wie man nach Überschwemmungen im Senegal oder in Bangladesh erlebt habe.

Leidenschaftliche Diskussion

Armin Käfers Frage, ob das Geld, das die Bundesregierung ausgibt, um Menschen von der Flucht abzuhalten, ausreicht, führte zu einer leidenschaftlich geführten Diskussion. Bei dieser wurde über die Anpassungsschwierigkeiten der Menschen eines anderen Kulturkreises ebenso gesprochen wie über die historische Verantwortung der Kolonialländer und die Situation, die durch jene Konzerne verursacht werden, die Menschen und Bodenschätze in Afrika ausbeuteten. Aber auch über eine einheitliche Linie der Politik in Europa bei Flüchtlingsfragen und über Ausbildungsallianzen mit Afrika sowie mögliche Chancen für die Gesellschaft tauschten sich die Veranstaltungsteilnehmer intensiv aus. Ein Besucher brachte es schließlich auf den Punkt: „Schuldzuweisungen bringen nichts. Jeder kann etwas dazu beitragen.“