Der StZ-Südamerika-Korrespondent Wolfgang Kunath spricht in der Volkshochschule über Brasilien. Seine persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse, gepaart mit tiefem Wissen, begeistern ein fachkundiges Publikum.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Man nennt das wohl einen warmen Empfang. Noch bevor Rebecca Frey seitens der Stuttgarter Volkshochschule mit ihrer charmanten Anmoderation beginnen konnte, hatten schon die ersten Besucher Kontakt zu Wolfgang Kunath aufgenommen. Der Südamerika-Korrespondent der Stuttgarter Zeitung war am Donnerstag Abend zu Gast im Pressecafé, welches die Stuttgarter Zeitung zusammen mit der Volkshochschule veranstaltet. Und schon vor dem Beginn gab es Anerkennung und Schulterklopfen.

 

Seit Jahren sammele sie alle Kunath-Berichte und schneide sie aus, sagte Rotraud Harling, die Brasilien als ihre zweite Heimat bezeichnet. 1961 sei sie zum ersten mal mit dem Schiff dorthin gereist, seither lasse das Land sie nicht mehr los. Den StZ-Korrespondenten kennt und lobt die Stuttgarterin als kenntnisreichen Berichterstatter. Damit war sie im Verlauf des Abends nicht allein.

Brasilien zu erklären sei schwierig, er könne allenfalls ein paar vereinzelte Tupfer zum Verständnis des Landes beifügen, sagte Kunath nach seinem Einführungsstatement. Es waren farbvolle Tupfer, geprägt von Liebe zum und Kenntnisreichtum über das Land, das Kunath zum ersten mal zur Klimakonferenz 1992 für die StZ bereiste. Damals habe es in Rio 800 000 Autos gegeben, heute sind es mehr als 2,5 Millionen, damals habe er zwar eine Kreditkarte besessen, diese aber nirgendwo nutzen können, während heute jede kleine Limo-Flasche mit Plastikgeld bezahlt werde, zieht der StZ-Korrespondent einen Vergleich. Und noch einen: „Damals musste meine Frau 2000 Dollar Bestechungsgeld bezahlen, damit wir überhaupt einen Telefonanschluss bekommen. Heute gibt es etwa 280 Millionen Mobiltelefone im Land“.

Brasilien leidet unter einem Minderwertigkeitskomplex

Das sind die persönlichen Erinnerungen, und dann gibt es die Wegmarken der neueren brasilianischen Geschichte. Drei besonders bedeutende hat Kunath da ausgemacht: die Entwicklung der Demokratie 1986, die Einführung der stabilen Währung Reais 1994 und die Etablierung eines Systems der sozialen Sicherung im Jahre 2003. „Bescheiden, wenn man es mit unserem vergleicht, aber ein Meilenstein und ein Schritt in die richtige Richtung“.

Kunath erklärt die brasilianische Krankheit, die sich in einem dauerhaften Minderwertigkeitskomplex darstellt, mit dem vom Schriftsteller Nelson Rodrigues geprägten Begriff des „Straßenköterkomplexes“. Und – das ist in Brasilien nur ein scheinbarer Widerspruch – die gleichzeitige Selbstüberschätzung, die sich besonders in dem Spruch der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff zeigt. Die hatte, als die Fußball-Weltmeisterschaft noch nicht begonnen hatte, versprochen, dass ihr Land die „Weltmeisterschaft der Weltmeisterschaften“ ausrichten werde. Brasilien, sagt Kunath, sei eines der ersten Länder weltweit gewesen, das die Todesstrafe abgeschafft habe. Zugleich eines der Länder, in dem die Sklaverei am längsten Bestand hatte. Widersprüche.

Der Großteil der rund 100 Gäste im Robert-Bosch-Saal zeigt sich bei der anschließenden Fragerunde nicht nur als an Brasilien interessiert, sondern auch als durchaus überdurchschnittlich gut informiert. Das mag an Kunaths Berichterstattung liegen oder daran, dass die VHS Brasilien im abgelaufenen Semester als Schwerpunktthema gesetzt hatte. Mit Antworten auf Fragen zum brasilianischen Aberglauben konnte Kunath ebenso für Weiterbildung sorgen, wie beim Thema Inflation. Sechs Prozent seien derzeit happig, sagt Kunath, um dann die historische Besserung an einem Beispiel zu illustrieren. 2002 habe der Mindestlohn bei 200 Reais gelegen, heute liege er bei 724 (242 Euro). Im Mai 1993 hatte es hingegen 3,3 Millionen Cruzeiros gegeben, einen Monat später waren es schon 4,6 Millionen. Da relativieren sich sechs Prozent.

Lob aus dem Publikum

Mit Charme und Wissen beantwortete Kunath Fragen zu den Gefahren von Ölbohrungen im Atlantik, zum Flugzeugunglück einer TAM-Maschine 2007 und zur Fußball-WM. Dass brasilianische Kommentatoren die 1:7 Niederlage im Halbfinale gegen Deutschland mit ihrem Gefühl bei den Attentaten vom 11. September 2001 verglichen hatten, ärgerte den Vollblutjournalisten: „So ein Mist, das geht doch nicht“. Eine Stimme aus dem Publikum mag da von Kunath besonders gerne gehört worden sein: Ein Besucher berichtete von zahlreichen Mails und Nachrichten, die er von brasilianischen Freunden erhalten habe. Die hätten durch die Bank anerkennend die deutsche Leistung gelobt.

Ein dickes Lob bekam der StZ-Redakteur auch von einem anderen Mann aus dem Publikum. Der ist Brasilianer und wie Kunath Autor eines Buches über das Land, das oft als das Land am Zuckerhut bezeichnet wird. Die ehrliche und ausgewogene Darstellung gefalle ihm, dies sei die erste Brasilien-Diskussion, bei der er sich nicht maßlos ärgere, sagte der Mann. Da konnten die anderen Gäste nur zustimmen.

Zur Person Wolfgang Kunath zählt zu den dienstältesten Redakteuren der Stuttgarter Zeitung. 1984 begann er bei der StZ als Nachrichtenredakteur, von 1994 an war er fünf Jahre als Korrespondent in Afrika. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin zog es ihn 2002 über den Atlantik. Mit Sitz in Rio berichtet er seitdem aus Südamerika.