In 57 Sekunden das Melderecht geändert: Ein Video zeigt, wie der Bundestag über die Gesetzesnovelle befindet - und der Mitschnitt wird zum Aufreger im Netz. Eigentlich gängige Praxis im Parlamant. Die Bundesregierung reagiert auf den Widerstand.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Gesetzgebung im Schnellverfahren? Binnen 57 Sekunden hatte der Bundestag am 28. Juni das Melderecht geändert – eine Novelle, die Datenschützer und Verbraucherschützer heftig kritisieren. In der knappen Zeit wurden sogar zwei Abstimmungen vollzogen: die zweite und die dritte Lesung des MeldFortG, wie das amtliche Kürzel der umstrittenen Norm lautet. Einwände? Die wurden nicht real vorgebracht, sondern nur zu Protokoll gegeben. Das zeigt ein Video-Mitschnitt aus dem Bundestag, der im Netz zum Aufregerthema wurde. Die Bundesregierung geht allerdings davon aus, dass das umstrittene Meldegesetz im weiteren parlamentarischen Verfahren wieder geändert wird.

 

Das Prozedere im Video entspricht durchaus dem parlamentarischen Regelbetrieb, wenn es nicht gerade um die wichtigsten Fragen der Nation geht.

Der Bundestag hatte an jenem Donnerstag 48 Punkte auf der Tagesordnung. Die Sitzung hatte wie immer um neun Uhr begonnen. Punkt 21, das Melderecht, wurde um 20.52 Uhr aufgerufen. Wenn über alle Themen auch im Plenum ausführlich diskutiert würde, dann müsste das Parlament den Drei-Schicht-Betrieb einführen und rund um die Uhr tagen. Das Expressverfahren bedeutet auch keineswegs, dass die Melderechtsreform nicht umfassend besprochen worden wäre.

Denn das geschieht vorab in den zuständigen Ausschüssen. In diesem Fall hatte sich der Rechtsausschuss, der Wirtschaftsausschuss und der Innenausschuss wiederholt mit der Materie befasst. Dort wurden alle Argumente für und wider die Weitergabe von Daten aus den Melderegistern diskutiert, wie sich aus den Bundestagsdrucksachen nachlesen lässt.

Die finale Abstimmung fand übrigens kurz nach dem Anstoß zum Halbfinale der Fußball-EM statt. Deutschland hoffte noch, gegen Italien gewinnen zu können. Und offenbar hofften besonders viele Abgeordnete der Opposition mit. Ausgerechnet die Ränge jener Fraktionen, die sich jetzt lauthals empören, waren bei der fraglichen Sitzung, besonders schütter besetzt. Von der SPD und den Grünen waren zum Beispiel nur drei Abgeordnete anwesend. Sie haben zusammen aber 214 Sitze.