Dokumente belegen, wie sich Unionsfraktionschef Volker Kauder einst dafür einsetzte, dass das neue Gewehr bei Heckler & Koch und nicht in Österreich beschafft wurde. Heute, da das G 36 Ärger bereitet, kann er sich daran nicht mehr erinnern.

Stuttgart / Berlin - In der Affäre um das Sturmgewehr G 36 hat sich Volker Kauder eher sparsam zu Wort gemeldet. Meist stützte der Unionsfraktionschef im Bundestag dann Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Mal verwies er auf die Untersuchungen ihres Ressorts, an denen er „keinen Grund zu zweifeln“ habe. Bei Dauerfeuer und bei hohen Temperaturen, so das Ergebnis, sei die Waffe der Oberndorfer Firma Heckler & Koch (H&K) nicht treffsicher. Mal nahm er von der Leyen gegen den Vorwurf in Schutz, sie kläre nicht konsequent genug auf: Ihr Posten sei „einer der schwierigsten, deswegen kann ich nur sagen, sie macht eine gute Arbeit“.

 

Die Zurückhaltung verwundert nicht, denn das Thema G 36 ist für Kauder (65) heikel. Als Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Rottweil-Tuttlingen, zu dem auch Oberndorf gehört, galt er lange als Fürsprecher oder gar „Schutzpatron“ der Waffenfirma. Öffentlich bekannte er sich wiederholt zu seinem Einsatz für Heckler & Koch, öffentlich dankte ihm das Unternehmen wiederholt dafür. „Herr Kauder hat uns wirklich sehr geholfen“, lobte eine Unternehmenssprecherin im Jahr 1999 – just mit Blick auf die Entscheidung der Bundeswehr, das G 36 und nicht ein österreichisches Konkurrenzprodukt zu bestellen. Wenige Jahre zuvor hatte der damalige CDU-Landesgeneralsekretär dies auch als Erfolg seiner Bemühungen gefeiert: Er habe „von Anfang an für das Gewehr gekämpft“. Doch als um die Jahrtausendwende kritische Fragen zu Parteispenden von Heckler & Koch aufkamen, war er bemüht, seine Rolle zu relativieren. Als Abgeordneter habe man auf die Beschaffung gar keinen Einfluss: „Das wird überschätzt.“

Kauder und Hauser als H&K-Lobbyisten

Im Zuge der Aufarbeitung der G-36-Affäre werden nun aber Dokumente bekannt, die Kauders Einsatz für die heimische Waffenschmiede belegen. In der entscheidenden Phase der Auftragsvergabe wurde dieser offenbar so ernst genommen, dass er gleich in zwei Vermerken für die Spitze des Verteidigungsministeriums auftauchte – erst im Herbst 1994 in einer Vorlage der Rüstungsabteilung für den damaligen Staatssekretär Jörg Schönbohm (CDU), dann Anfang 1995 in einem finalen Schreiben Schönbohms an den damaligen Minister Volker Rühe (CDU). Der Ex-General berichtete dem Ressortchef seinerzeit, wie das Ringen um das neue Gewehr ausgegangen sei. Die Waffen von Heckler & Koch hätten am Ende nicht nur die „bessere Bewertung“ erhalten, sie seien auch „deutlich preisgünstiger“ als das Angebot des einzigen Mitbewerbers, der österreichischen Firma Steyr-Mannlicher, die sich mit dem Oberndorfer H&K-Konkurrenten Mauser zusammengetan hatte.

Der Führungsstab des Heeres und die Rüstungsabteilung empfählen ihm, das G 36 samt zugehörigem leichtem Maschinengewehr zu beschaffen. „Ich beabsichtige, diesem Vorschlag zuzustimmen“, schrieb Schönbohm. Nach der Kenntnisnahme durch Rühe werde er „aufgrund der Diskussion im politischen Bereich, u. a. auch in der Landesgruppe der CDU Baden-Württemberg“, verschiedene Beteiligte unterrichten: den österreichischen Botschafter, dessen Landsleute unterlegen waren, den thüringischen Ministerpräsidenten, in dessen Bundesland offenbar eine Firma beteiligt werden sollte, „und die Abgeordneten Hauser und Kauder, die beide für Heckler & Koch votieren“. Gemeint ist offenbar der Esslinger Parlamentarier und spätere Regierungssprecher Otto Hauser.

Der CDU-Mann bittet um Aufschub

Fünf Monate zuvor war es in einem Sachstandsbericht für Schönbohm bereits um eine Intervention Kauders gegangen. Schriftlich habe dieser im August 1994 den Rüstungs-Abteilungsleiter „um Aufschub einer Vergabeentscheidung bis nach der sitzungsfreien Zeit gebeten“. Begründung: Er beabsichtige, „die Arbeitsgruppe Verteidigung seiner Fraktion zu bitten, sich mit der Frage der Gewehrauswahl ebenfalls zu befassen“. Hintergrund sei die „Erörterung der Arbeitsmarktsituation in der Region Oberndorf“.

Diese sähe düster aus, sollte Heckler & Koch leer ausgehen, heißt es an anderer Stelle der Vorlage. Dann werde sich für die Firma „in einem absehbaren Zeitraum die Existenzfrage . . . stellen“. Die einzige in Deutschland verbliebene „Entwicklungs- und Fertigungskapazität“ für militärische Kleinwaffen ging dann „vollends verloren“, mit gravierenden Folgen für weitere geplante Beschaffungen. Bei einem Zuschlag stelle Heckler & Koch hingegen 200 bis 250 Arbeitsplätze „auf Dauer in Aussicht“, weil dann auch das Auslandsinteresse an dem Gewehrset wachsen werde. „Die Seilschaft von Heckler & Koch reicht also nicht nur ins Verteidigungsministerium, sondern in die Spitze der CDU“, hatte der Linke-Abgeordnete Jan van Aken gefolgert. Man sei „vermutlich aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten nicht zum Zug gekommen“, sagte der Chef von Steyr-Mannlicher im ZDF-Magazin „Frontal 21“.

„Keine Erinnerung mehr an Details“

Auf einen umfassenden Fragenkatalog der Stuttgarter Zeitung reagierte Volker Kauder jetzt mit einem einzigen Satz: „Nach 20 Jahren kann ich mich an Details des Vorgangs, der Sie interessiert, nicht mehr erinnern.“ Unbeantwortet ließ er freilich auch die nicht vom Gedächtnis abhängige Frage, ob heute noch Abgeordnete oder die Fraktion in solche Beschaffungsvorgänge involviert seien. Fast wortgleich äußerte sich Kauders Ex-Kollege Otto Hauser: „Nach mehr als 20 Jahren sind mir die Vorgänge nicht mehr präsent!“

Vor 15 Jahren, als die StZ intensiv zu Kauders Einsatz für Heckler & Koch recherchierte, gab es noch mehr Auskünfte. Beide Seiten bestätigten damals, seinem Zutun sei es zu verdanken, dass die Bundeswehr erheblich mehr neue Sturmgewehre beschaffe als zunächst geplant. Insgesamt wurden es bis heute knapp 180 000 Stück – ein Arsenal, dem von der Leyen aufgrund der von H&K bestrittenen Schwächen bescheinigte, es habe in der jetzigen Form bei der Truppe keine Zukunft.

Bei Spenden wird die CDU klar bevorzugt

Genauso einhellig wiesen der Abgeordnete und die Waffenfirma damals alle Vermutungen zurück, zwischen Parteispenden und dem Engagement könnte es einen Zusammenhang geben; Anlass war damals eine besonders hohe Gabe an die CDU kurz nach der Erteilung einer Exporterlaubnis, für die sich Kauder im Kanzleramt engagiert haben soll. „Ich bin nicht käuflich“, beteuerte der Tuttlinger damals; er setze sich für alle Firmen in seinem Wahlkreis ein. Von den Spenden verspreche man sich keine geschäftlichen Vorteile, sekundierte seinerzeit eine H&K-Sprecherin.

Als die Waffenfirma 2011 ihre Parteispenden der vergangenen zehn Jahre offenlegte, erwiesen sich diese als ziemlich ungleich verteilt: 70 000 Euro waren an die CDU gegangen – auch an den zu Kauders Wahlkreis gehörenden Kreisverband Rottweil –, 20 000 an die FDP und gerade mal 3000 an die SPD; die Grünen bekamen keinen Cent. Die Bemessung erklärte Heckler & Koch wie folgt: Man spende an Parteien, „deren sicherheitspolitische Programmatik die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland als Nato-Partner in den Mittelpunkt stellt.“