Ein Streit mit einem wichtigen Zulieferer-Konsortium von Innenraum- und Gussteilen wirbelt den Volkswagen-Konzern durcheinander. Teilweise stehen schon die Bänder still. Der Autoexperte Dudenhöffer befürchtet dreistellige Millioneneinbußen.

Wolfsburg - Vor zwei Monaten hat VW-Chef Matthias Müller die Aktionäre auf der Hauptversammlung auf harte Zeiten eingeschworen. „Klar ist, dass wir auch 2016 genau auf unsere Kosten schauen müssen“, kündigte Müller damals in Hannover an. „Die angelaufenen Effizienzprogramme,“ so der Chef des Wolfsburger Konzerns, „werden überall im Konzern mit Hochdruck vorangetrieben“.

 

Dieser Druck zum Sparen bei dem größten europäischen Autohersteller „kann nicht jedem Zulieferer gefallen“, sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch-Gladbach, der seit Jahren die Beziehungen zwischen den Autobauern und deren Zulieferern untersucht. Bei seiner jüngsten Umfrage in der Branche hat der Wissenschaftler festgestellt, dass der Kostendruck vor allem bei den kleineren Zulieferern auf die Stimmung geschlagen ist. Die größeren Unternehmen kämen damit besser zurecht. Die Hälfte der klein- und mittelständischen Unternehmen, so ein Ergebnis der Studie, sehe ihre Existenz durch den steigenden Kostendruck gefährdet. Die Auseinandersetzungen zwischen VW und zwei Zulieferern, die zur Wolfsburger Prevent-Gruppe gehören, haben indes auch den erfahrenen Wissenschaftler überrascht. „Solch einen dramatischen Fall habe ich noch nicht erlebt“, sagt Bratzel und fügt hinzu, dass sich vor dieser Eskalation wohl viel Frust angesammelt haben müsse. „Da muss viel vorgefallen sein“, vermutet der Chef des Forschungsinstituts.

VW ist in einer „brenzligen Situation“

VW sei durch den Lieferstopp der Zulieferer in eine „sehr brenzlige Situation“ gekommen, urteilt Ferdinand Dudenhöffer, der wissenschaftliche Leiter des Forschungsinstituts Car in Duisburg. Wesentlich kritischer als den Lieferstopp bei den Sitzbezügen schätzt Dudenhöffer den Engpass bei den Getriebegehäusen ein, die von dem sächsischen Zulieferer ES Automobilguss produziert werden. So wie es aussehe, sei das sächsische Unternehmen der einzige Lieferant des Teils, das im VW-Werk Kassel für Getriebe gebraucht werde. Dudenhöffer verweist auf Berichte, wonach dieses Teil in bis zu 80 Prozent der Getriebe in Kassel benötigt werde. Damit stehe auch die Produktion von Fahrzeugen wie dem VW Golf still. Der Lieferstopp könnte nach Einschätzung des Wissenschaftlers die Produktion von VW für längere Zeit lahmlegen und dreistellige Millioneneinbußen verursachen. Auch die Konzerntochter Audi bezieht vor allem für die kleineren Modelle Getriebe aus dem Zulieferwerk der Konzernmutter in Kassel. Bisher laufe die Produktion jedoch planmäßig, sagte eine Audi-Sprecherin. Auch bei einem Engpass könnte das Werk Neckarsulm wohl verschont bleiben, weil dort die größeren Modelle produziert werden, die andere Getriebe haben. Auch die VW-Tochter Porsche sieht keine Gefahr von Produktionsstörungen, weil der Stuttgarter Autobauer die Getriebe vom Zulieferer ZF bezieht.

Der Autoexperte Dudenhöffer kritisiert, dass VW bei der Beschaffung Fehler gemacht habe, weil der Weltkonzern sich allein auf einen mittelständischen Zulieferer verlassen habe. Um das Risiko von Ausfällen zu verringern, müssten nach Einschätzung von Dudenhöffer mehrere Bezugsquellen vorhanden sein. Wenn man schon von dieser Vorsichtsmaßnahme abweiche, müsse man eine sehr solide und stabile Geschäftsbeziehung haben. Dies sei bei der Prevent-Gruppe jedoch nicht der Fall. Ein Teil dieser Unternehmensgruppe sei vor einigen Jahren durch eine Insolvenz gegangen. Zusätzlich seien Unternehmen aus Insolvenzen aufgekauft worden. „Das sieht eher nach einer weniger stabilen Geschäftsbeziehung aus“, meint Dudenhöffer. Der Lieferstopp deutet nach Einschätzung des Wissenschaftlers darauf hin, dass bei dem Zulieferer ein großes Problem bestehe. „Der Zulieferer muss sich in einer ausweglosen Lage befinden, sonst macht er diesen Schritt nicht, der seine Existenz bedroht“, so der Chef des Car-Instituts.

Prevent-Gruppe ist einer der großen VW-Zulieferer

Die bisher kaum bekannte Prevent-Gruppe entstand 1952 als kommunale Sattlerei in Slowenien. VW wurde 1976 zum ersten wichtigen Abnehmer von Sitzbezügen. Heute hat die Gruppe mit mehr als 12 000 Mitarbeitern an rund 30 Standorten ein breit gefächertes Angebot.

Der Zulieferer Car Trim, der bisher die Sitzbezüge geliefert hat, kam erst im April dieses Jahres zu dieser Unternehmensgruppe. Im Juni gab es Medienberichte über eine Kündigungswelle. Der Standort Plauen wackle, hieß es. Der Getriebeteile-Zulieferer ES Automobilguss wurde im vergangenen November von der Prevent-Gruppe übernommen.