Dass man ein Zeichen richtig interpretiert, kann – etwa in der Kunst und der Kultur – nicht immer vorausgesetzt werden.
Man müsste hierbei vielleicht von Resonanzfähigkeit sprechen. Wenn man zum Beispiel das japanische No-Theater zum ersten Mal sieht, wird man wahrscheinlich gar nichts verstehen, da einem die darin enthaltenen Gesten, die Bewegungen und die Gesänge nur fremd vorkommen werden – obwohl sie hochgradig kodifiziert sind und sogar kleinste Gesten sehr viel ausdrücken und bedeuten. Wie wir mit Zeichen umgehen, hat viel mit persönlicher Erfahrung zu tun oder, besser gesagt, mit kultureller Prägung.
Wie hat sich die Bedeutung der Zeichen im Laufe der Jahrhunderte verändert?
Einige der ältesten Zeichentheorien gehen davon aus, dass die Bedeutung der Zeichen etwas ist, das in den Dingen selbst steckt, oder dass Zeichen der Vorstellung entsprechen, die der Mensch von ihnen hat – einem inneren Bild ähnlich, das wir von Gegenständen oder von der Welt haben. In der Moderne kam man mehr und mehr von dieser Annahme ab. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951, Anm. d. Red.) etwa behauptete, dass wir mit Zeichen umgehen können, unabhängig davon, ob wir eine Vorstellung von ihrer Bedeutung im Kopf haben oder nicht. Solange wir uns an die Regeln und Konventionen halten, genüge das völlig. Ein Beispiel: Wenn jemand in einen Laden geht und einen Apfel bestellt, ist es ganz gleich, ob er eine konkrete Vorstellung von dem Wort „Apfel“ oder dem bezeichnetem Gegenstand hat – Hauptsache, er bekommt ihn. Allerdings sind die Gesetzmäßigkeiten der Zeichen nicht eindeutig festgeschrieben.

Fett: „Fett enthaltend“, „dick“ oder doch eher „super“?

Welche Konsequenzen zieht das nach sich?
Die Bedeutung der Zeichen kann sich sowohl durch ihren Kontext als auch durch ihren Gebrauch verändern. Durch den Gebrauch zum Beispiel in Dialekten können Wörter umgedeutet werden. So bedeutet das Wort „fett“ hochsprachlich entweder „Fett enthaltend“ oder „dick“, im Österreichischen bedeutet es auch „super“, „spitze“. Das zeigt, dass Wörter mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen und in den normalen Sprachgebrauch integriert werden können. Das funktioniert allerdings nur, weil Zeichen deutungsoffen sind. Ein sehr junger Bereich, in dem sich in dieser Hinsicht Probleme ergeben können, sind die Emojis.
Welches Konfliktpotenzial bieten Emojis?
Die Kultur des Nachrichtensendens mit diesen neuen Zeichen befindet sich noch in einer Art Wildwestphase. Man kann quasi direkt zuschauen, wie dort Konventionen ausgehandelt werden. Wenn ich in einer Nachricht kein Emoji zurückschicke, kann das als unhöflich interpretiert werden – es muss aber gar nicht so gemeint sein.
Zur Person: Christian Schön

Geboren 1982 in Memmingen, studiert Christian Schön von Oktober 2003 bis 2010 in Würzburg und Berlin Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, germanistische Linguistik, Mediävistik und Kunstgeschichte.

 

Nach einem Stipendiat am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung arbeitet Schön von 2013 bis 2015 als freier Lektor. Seit 2014 ist er als freier Autor, Ghostwriter und Blogger tätig.

Christian Schöns Fachbuch „Die Sprache der Zeichen“ ist am 13. September 2016 beim J. B. Metzler Verlag erschienen. Die gebundene Ausgabe umfasst 160 Seiten und kostet 24,95 Euro.