Als der Historiker Valentin Groebner zur Leibniz-Tagung eingeladen wurde, erkundigte er sich nach einem Honorar. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften zahle grundsätzlich nicht, erfuhr er. Als Professor kann Groebner das verschmerzen; die Einladung ist eine Ehre. Aber er nutzt seinen Vortrag dann doch, um eine unerwartete Parallele von Leibniz zur Gegenwart zu ziehen: der Abhängigkeit vieler Wissenschaftler von einigen mächtigen Männern. Vor 300 Jahren haben Fürsten und Könige die Forschung finanziert und über die Karrieren entschieden, heute sind es Professoren – als Doktorväter oder als Gutachter.

 

Die Situation für junge Wissenschaftler bezeichnet Groebner als obszön: ein befristeter und schlecht bezahlter Arbeitsvertrag nach dem anderen und am Ende doch nur eine geringe Aussicht auf eine Professur. Für seine Kritik bekommt Groebner anhaltenden Applaus. Keiner der Professoren im Publikum widerspricht ihm. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß nennt jedoch eine Alternative: die Universitäten zu verkleinern. Sein Fach und die Germanistik, die er als Beispiele nennt, seien personell gewachsen. Aber ist damit auch die Forschung besser geworden? „Man könnte fast sagen: fünf Philosophen im antiken Athen haben mehr geleistet“, sagt Mittelstraß. Diesen Pessimismus, antwortet Groebner, teile er nicht.

Dein Beschützer ist gestorben – gehe zurück auf Los!

Zu Zeiten von Leibniz gab es Ratgeber für die richtige Strategie am Hofe. Groebner zeigt auch ein Brettspiel für Forscher aus dem Barock und beschreibt einige der Ereignisfelder, etwa das Feld 46: „Dein Beschützer ist gestorben.“ Eine moderne Variante dieser Spiele hat der Philosoph Cornelis Menke entwickelt, die von der Jungen Akademie unter dem Titel „Peer Review“ vertrieben wird, womit das Gutachterverfahren bezeichnet wird, dem sich Wissenschaftler regelmäßig unterwerfen.

Wer bei „Peer Review“ an der Reihe ist, referiert zwei bis drei Minuten über das Thema, das er gerade gezogen hat. Die anderen sind Gutachter und bewerten den Vortrag nach bestimmten Gesichtspunkten: Hat der Referent stringent argumentiert, den Forschungsstand richtig dargestellt, seine Methoden genannt und seine These an Beispielen erläutert? Hat sie oder er geschlechtergerechte Sprache verwendet, ist das Forschungsprojekt interdisziplinär anschlussfähig, gibt es einen Bezug zu den „großen gesellschaftlichen Herausforderungen“ – und: kann der Kollege überhaupt Latein? Das Spiel hat kein natürliches Ende; man bricht irgendwann ab. Das Ziel ist laut Anleitung: „zu verhindern, dass einer der anderen gewinnt“.

Um die Situation für den Nachwuchs zu verbessern, schlägt Groebner Honorare vor, die allen Wissenschaftlern ohne feste Stelle zustehen sollten. „Nur eine Honorierung zeigt, dass man ihre Arbeit auch schätzt“, sagt er. Für das Tarifsystem nennt er einige Hausnummern: 400 Euro für eine Rezension, 800 Euro für eine normale Studie und 1200 Euro für den Beitrag zu einem Sammelband, weil Sammelbände ohnehin niemand lese. Groebners Kollege Ulrich Johannes Schneider von der Uni Leipzig kann sich dann eine Frage nicht verkneifen: „Welchen Vortrag hättest du gehalten, wenn du ein Honorar bekommen hättest?“

Schon Leibniz klagte über die schreckliche Masse neuer Bücher, die jedes Jahr auf den Markt komme. Dabei habe ein Wissenschaftler Ende des 17. Jahrhunderts noch die Chance gehabt, alle Neuerscheinungen in seinem Fachgebiet zu lesen, sagt der Historiker Valentin Groebner von der Universität Luzern. „Schon eine oder zwei Generationen später war das nicht mehr möglich.“ Heute würden in seinem Fachgebiet, der mittelalterlichen Geschichte, mehr als 10.000 Artikel im Jahr publiziert. Groebner schlägt daher vor, stärker zu filtern. In wissenschaftlichen Arbeiten sollte man nicht verlangen, dass der komplette Forschungsstand referiert wird (mehr zu Groebners Plädoyer auf der 2. Seite). „Man muss nicht alles wiederholen, was andere gedacht haben“, sagt Groebner. „Das bringt oft nicht mehr als das warme Gefühl der Zugehörigkeit zum Fach.“

„Eine Verengung auf den immer effizienteren Menschen“

Leibniz hat wirklich versucht, Ordnung in die Vielfalt zu bringen. Er sprach mehrere Sprachen und kannte sich auch in der Mathematik aus. Nach dem Vorbild der mathematischen Notation wollte er eine Universalsprache entwickeln, die allen wissenschaftlichen Disziplinen die eindeutige und für alle Kollegen verständliche Beschreibung der Realität ermöglicht. Sie hätte eine Methode sein können, um Dinge nicht nur zu entdecken, sondern durch Verbindungen echtes Wissen zu generieren. Doch Leibniz scheiterte auch mit diesem Projekt. Und so ist die Berliner Tagung erfolgreicher bei der Neuinterpretation von Leibniz als beim Nutzbarmachen seiner Ideen für die heutige digitale Zeit.

Dem skeptischen Grundton der Tagung fügt die IT-Design-Expertin Gesche Joost von der Universität der Künste in Berlin eine Dimension hinzu: Sie sieht im Internet sogar die Gefahr einer zu großen Vereinheitlichung. Das Netz neigt zu Monopolen, wie man bei sozialen Netzwerken sehen kann, und schränkt die Optionen ein. Man könne es nicht immer so nutzen, wie man gerne möchte, sagt Joost und erwähnt auch den Trend, den Alltag in Zahlen zu erfassen: 10.000 Schritte am Tag gelten vielen schon als Norm. „Ich sehe eine Verengung auf einen immer effizienteren Menschen“, sagt Joost und fordert stattdessen, die Menschen in ihrer Vielfalt zu akzeptieren. Das sei pathetisch formuliert, gibt sie zu, aber offenbar nicht selbstverständlich.

Eine Parallele zur Zeit des Barock: Forscher-Karrieren

Als der Historiker Valentin Groebner zur Leibniz-Tagung eingeladen wurde, erkundigte er sich nach einem Honorar. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften zahle grundsätzlich nicht, erfuhr er. Als Professor kann Groebner das verschmerzen; die Einladung ist eine Ehre. Aber er nutzt seinen Vortrag dann doch, um eine unerwartete Parallele von Leibniz zur Gegenwart zu ziehen: der Abhängigkeit vieler Wissenschaftler von einigen mächtigen Männern. Vor 300 Jahren haben Fürsten und Könige die Forschung finanziert und über die Karrieren entschieden, heute sind es Professoren – als Doktorväter oder als Gutachter.

Die Situation für junge Wissenschaftler bezeichnet Groebner als obszön: ein befristeter und schlecht bezahlter Arbeitsvertrag nach dem anderen und am Ende doch nur eine geringe Aussicht auf eine Professur. Für seine Kritik bekommt Groebner anhaltenden Applaus. Keiner der Professoren im Publikum widerspricht ihm. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß nennt jedoch eine Alternative: die Universitäten zu verkleinern. Sein Fach und die Germanistik, die er als Beispiele nennt, seien personell gewachsen. Aber ist damit auch die Forschung besser geworden? „Man könnte fast sagen: fünf Philosophen im antiken Athen haben mehr geleistet“, sagt Mittelstraß. Diesen Pessimismus, antwortet Groebner, teile er nicht.

Dein Beschützer ist gestorben – gehe zurück auf Los!

Zu Zeiten von Leibniz gab es Ratgeber für die richtige Strategie am Hofe. Groebner zeigt auch ein Brettspiel für Forscher aus dem Barock und beschreibt einige der Ereignisfelder, etwa das Feld 46: „Dein Beschützer ist gestorben.“ Eine moderne Variante dieser Spiele hat der Philosoph Cornelis Menke entwickelt, die von der Jungen Akademie unter dem Titel „Peer Review“ vertrieben wird, womit das Gutachterverfahren bezeichnet wird, dem sich Wissenschaftler regelmäßig unterwerfen.

Wer bei „Peer Review“ an der Reihe ist, referiert zwei bis drei Minuten über das Thema, das er gerade gezogen hat. Die anderen sind Gutachter und bewerten den Vortrag nach bestimmten Gesichtspunkten: Hat der Referent stringent argumentiert, den Forschungsstand richtig dargestellt, seine Methoden genannt und seine These an Beispielen erläutert? Hat sie oder er geschlechtergerechte Sprache verwendet, ist das Forschungsprojekt interdisziplinär anschlussfähig, gibt es einen Bezug zu den „großen gesellschaftlichen Herausforderungen“ – und: kann der Kollege überhaupt Latein? Das Spiel hat kein natürliches Ende; man bricht irgendwann ab. Das Ziel ist laut Anleitung: „zu verhindern, dass einer der anderen gewinnt“.

Um die Situation für den Nachwuchs zu verbessern, schlägt Groebner Honorare vor, die allen Wissenschaftlern ohne feste Stelle zustehen sollten. „Nur eine Honorierung zeigt, dass man ihre Arbeit auch schätzt“, sagt er. Für das Tarifsystem nennt er einige Hausnummern: 400 Euro für eine Rezension, 800 Euro für eine normale Studie und 1200 Euro für den Beitrag zu einem Sammelband, weil Sammelbände ohnehin niemand lese. Groebners Kollege Ulrich Johannes Schneider von der Uni Leipzig kann sich dann eine Frage nicht verkneifen: „Welchen Vortrag hättest du gehalten, wenn du ein Honorar bekommen hättest?“

Das Leibniz-Jahr 2016

Jubiläum
Im Juli wird der 370. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz gefeiert, im November der 300. Todestag des vielseitigen Wissenschaftlers und Diplomaten. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW), zu deren Gründern Leibniz zählt, hat daher das Motto „Leibniz: Vision als Aufgabe“ zu ihrem Jahresthema erklärt. Auf der Website www.bestewelten.de gibt es einen Kalender zu allen Veranstaltungen des Leibniz-Jahres 2016.

Tagung
Auf einer Tagung mit dem Titel „Leibniz – Netzwerk – Digitalisierung“ hat die BBAW Leibniz als Vordenker der Netzwerke untersucht. Organisatorin ist die Philosophin Sybille Krämer von der Freien Universität Berlin, deren Lieblingsdenker Leibniz ist.