Bis dahin undenkbar, unfassbar, unzumutbar: Manfred Rommel hat es 1988 gewagt, ein Heiligtum schwäbischer Alltagskultur anzutasten: Heute vor 25 Jahren wurde in Stuttgart die öffentliche Kehrwoche abgeschafft. Eine Erinnerung samt Leserbriefen von damals.

Stuttgart - Manfred Rommel hat sich in seiner Funktion als Stuttgarter Oberbürgermeister getraut ein schwäbisches Heiligtum anzutasten: Die Kehrwoche. Am 17. Dezember 1988 – also genau vor 25 Jahren – schaffte Rommel die öffentliche Kehrwoche ab. Damit alles seine staubfreie Ordnung hatte, gab es bis zu besagtem Tage exakte Regeln in einer Satzung über „das Reinigen, Räumen und Bestreuen der Gehwege“.

 
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Bis dato hatten die Bürger die Auflage gehabt, „mindestens einmal wöchentlich“ zu fegen. Wer sich nicht daran hielt, dem konnte ein Ordnungsgeld zwischen fünf und tausend Mark angedroht werden. Ob es dazu jemals kam, ist nicht überliefert. Schmutzfinke wurden in den meisten Fällen wohl ohnehin bereits in erster Instanz verlässlich von der aufmerksamen Nachbarschaft sanktioniert.

Rommels „Klarstellung zur Gehwegreinigung“

Doch in jenem Dezember 1988 haben die Stadtväter trotzdem beschlossen, dass ab sofort nur noch „bei Bedarf“ die öffentlichen Gehwege gekehrt werden müssen. Wie sich Oberbürgermeister Rommel die neue Sauberkeit vorstellte, hat er damals mit einer „Klarstellung zur Gehwegreinigung“ den „verehrten Bürgerinnen und Bürger“ erklärt:

„Also zunächst einmal: Es handelt sich nur um die öffentlichen Gehwege und Straßenflächen im Sinne von § 1 der neuen Satzung, also nicht um Hausflure, Treppenhäuser, Vorplätze und so weiter; es geht somit nicht um private Flächen. Ob, wie oft und von wem diese gereinigt werden müssen, richtet sich nach Mietverträgen, Pachtverträgen oder Hausordnungen. Es geht um die öffentlichen Gehwege!

Was die öffentlichen Gehwege betrifft, verlangte das städtische Ortsrecht früher, dass die Anlieger diese reinigen, wenn sie schmutzig sind, aber mindestens einmal in der Woche. Einmal in der Woche musste also auch dann gereinigt werden, wenn die Gehwege gar nicht schmutzig waren. Das neue Ortsrecht verlangt vom 13. Januar an nur noch, dass die Gehwege gereinigt werden, wenn sie verschmutzt sind durch Staub, Dreck, Laub und so weiter.“

Die Kehrwoche ist tot, es lebe die Kehrwoche!

Klingt doch logisch! Welcher Dreck soll weggefegt werden, wenn der Gehweg sauber ist? Was diese Satzungsänderung dennoch bei manchem Stuttgarter ausgelöst haben mag, lässt ein Leserbrief an die Stuttgarter Zeitung aus dem Jahr 1968 erahnen. Bereits zwanzig Jahre zuvor schrieb sich eine empörte Stuttgarterin ihren Frust über die drohende Schlamperei von der Seele. Damit war sie ihrer Zeit voraus, denn die Tüchtige sah die ordentliche Straßenreinigung bereits am 10. Januar 1968 in Gefahr:

„Die Zugereisten wollen schon lange die altbewährte Kehrwoche abschaffen, weil sie nicht arbeiten wollen, diese jungen Weiber, und im Nest liegen bleiben wollen. Aber wenn die Miete sich um fünf Mark erhöhen sollte, dann stehen sie zusammen wie eine Dutschke-Gesellschaft.“

Die Kehrwoche sorgt aber auch noch Jahre später für Gesprächsstoff. Zum Beispiel damit: Als die Volkshochschule Calw für den 1. April 1998 zum Scherz einen Kurs fürs Kehrwochenreinigen anbot, haben sich 100 Interessenten angemeldet, die sich über die theoretischen Grundlagen informieren und die richtige Kehrtechnik erlernen wollten.

Was sagt uns das? Die Kehrwoche ist tot, es lebe die Kehrwoche!

PS: Zur aktuellen Satzung über das Reinigen, Räumen und Bestreuen der Gehwege in Stuttgart geht es hier entlang.

Wenn in Ihrem Haus kreative Kehrwochen-Schilder kursieren, die die Verantwortlichen an ihre Pflicht erinnern sollen, schicken Sie uns doch ein Foto von dem Schild an internet@stz.zgs.de. Die schönsten veröffentlichen wir in einer Fotostrecke.

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