Draußen heulen die Sirenen. Drinnen im Großluftschutzraum an der Stuttgarter Urbanstraße harren tausende von Menschen aus. Die Existenz des heutigen Wagenburg-Tunnels rettete vielen Stuttgartern während der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg das Leben.

Digital Desk: Anja Treiber (atr)

Stuttgart - Draußen heulen die Sirenen. Drinnen im Großluftschutzraum an der Stuttgarter Urbanstraße harren tausende Menschen aus. Dicht gedrängt sitzen sie auf Emporen und hoffen darauf, dass sie noch eine Wohnung haben und dass ihre Familien, Freunde und Nachbarn unversehrt geblieben sind, wenn die alliierten Bomber den Himmel über Stuttgart wieder verlassen haben. Insgesamt 53 Luftangriffe erleben die Stuttgarter im Zweiten Weltkrieg. Mehr als 4500 Menschen überleben die Bombardements der Alliierten nicht. Ob ein Bunker oder Schutzstollen in der Nähe war, konnte über Leben und Tod entscheiden.

 

Ende 1940, ein Jahr nach Kriegsbeginn: Die ersten Bomben sind bereits auf Stuttgart gefallen, da startet der für Luftschutzbauten zuständige Oberbaurat Scheuerle eine neue Bau-Offensive. Der Stadt mangelt es an geeigneten Luftschutzbauten, in denen die Stuttgarter während der Angriffe Zuflucht suchen können. Zehn unterirdische Bunker mit tausenden Plätzen sollen entstehen.

Zunächst war der Wagenburg-Tunnel ein Luftschutzstollen

Neben den Schutzbauten unter dem Stuttgarter Marktplatz und dem Wilhelmsplatz plant Scheuerle, den Höhenrücken zwischen Hauptbahnhof und dem Stuttgarter Osten auszuhöhlen und darin einen großen Schutzraum anzulegen, in den sich die Menschen flüchten können.

Planungen für eine solche Verbindung mit der Innenstadt hatte es bereits zwanzig Jahre zuvor gegeben. Sie waren allerdings aus finanziellen Gründen wieder in der Schublade verschwunden. Auf der Suche nach geeigneten Standorten für Schutzbauten kam das frühere Vorhaben wieder auf die Agenda und bald schon begannen die Bauarbeiten an den beiden Röhren, die aber in Kriegszeiten nicht vollständig abgeschlossen werden konnten.

Ein historisches Video über die Bauarbeiten sehen Sie hier!

Dennoch eilen seit Juli 1943 Tausende in den Stollen, wenn der Fliegeralarm wieder einmal Unheil ankündigt. Während des Krieges haben dort bis zu 15.000 Menschen Platz auf den Tribünen, die in Dreierreihen hintereinander stehen, wie der Verein „Schutzbauten Stuttgart“ berichtet. Zwischenzeitlich gibt es den Recherchen des Vereins zufolge auch Pläne, kriegswichtige Produktionsbetriebe in den Stollen zu verlegen. Maschinen statt Menschen? OB Karl Strölin interveniert, diese Pläne werden wieder verworfen.

Nach den schweren Angriffen im Juli 1944, in denen ein Großteil der Stuttgarter Innenstadt verwüstet worden ist, werden im Stollen an der Urbanstraße Feldbetten aufgestellt. Der Schutzraum dient immer wieder auch als Notunterkunft für die Ausgebombten, wissen die Experten vom „Schutzbauten Stuttgart“-Verein. Auch ein bekanntes Denkmal der Stadt übersteht dort den Krieg: Thorwaldsens Schiller-Statue wird 1942 in dem Stollen in Sicherheit gebracht und kann nach Kriegsende völlig unversehrt wieder am Schillerplatz aufgebaut werden.

Der längste Straßentunnel der Bundesrepublik

Nach dem Krieg beschloss der Gemeinderat, die Bauarbeiten am Wagenburg-Stollen fortzusetzen. Geplant war, die Südröhre zum Straßentunnel auszubauen, um vor allem für Lastwagen eine kurze Verbindung zum neu eröffneten Hafen und zum Großmarkt zu schaffen. Am 17. März 1958 wird der Wagenburg-Tunnel dann seiner heutigen Bestimmung übergeben. Bei der Eröffnung gilt er als längster Straßentunnel der Bundesrepublik. Die Planer gingen damals von 10.000 Autos aus, die den Tunnel täglich passieren würden.

Anders als bei der südlichen Röhre hat die Stadt nie daran gedacht, auch die begonnene Nordröhre weiter für den Verkehr auszubauen. So kam es, dass dort für fast dreißig Jahre die legendäre „Röhre“ ihre Heimat fand. Wegen den Bauarbeiten für Stuttgart 21 musste die Diskothek allerdings Anfang 2012 die Nordröhre wieder verlassen.

Auch der Stuttgarter Westen wird schwer von den alliierten Luftangriffen 1944 getroffen. Nahe der Russischen Kirche lebte damals die Bäckersfamilie Wagner, deren Schicksal wir in einer digitalen Multimedia-Reportage - angereichert mit zeitgenössischen Dokumenten, Fotos und Videos - erzählen möchten. Dieses Spezial ist in Kooperation mit dem Stadtarchiv Stuttgart entstanden und hier einsehbar.

Die Geschichtswerkstatt „Von Zeit zu Zeit

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Das interaktive Portal ist in Kooperation mit dem Stadtarchiv entstanden und gibt Ihnen die Möglichkeit die Geschichte der Stadt mitzuschreiben. Wer sich als Chronist anmeldet, kann Fotos hochladen oder eigene Zeitzeugenberichte verfassen.